Anja wartete auf uns vor dem Speisesaal. Sie sah mich an und lachte. »Du humpelst ja gar nicht mehr. Hast Du den Schmerz vergessen?«
»Du hättest mich auch warnen können. Dann hätte ich wenigstens verstanden, warum Du es gemacht hast.«
»Ich hätte es auch gemacht, wenn ich keinen Grund gehabt hätte. Es ist einfach zu lächerlich, wie Du über den Platz schleichst. Man kann Dir, während Du läufst, Deine Schuhe neu besohlen. Außerdem fuchtelst Du mit den Armen, als wolltest Du ein Feuer ersticken.«
Boris lehnte sich zu uns. »Was machen wir? Wir brauchen bis heute Abend den Schlüssel und ich weiß nicht, wo er ist.«
»Vielleicht hat ihn Berkowitz in seiner Jacke? Er hatte sie die gesamte Zeit an.«
Boris zog die Augenbrauen nach unten und schaute auf die Erde. Er murmelte: »Wir müssen die Jacke untersuchen.«
Ich schaute in den Raum und sah unsere Heimleitung schon auf ihren Plätzen sitzen. Herr Berkowitz hatte seine Jacke über die Stuhllehne gelegt.
Anja lachte. »Das werde ich machen.«
Sie ging zu dem Stuhl neben dem Mann im Anzug.
Boris nickte mir zu.
Es war erneut ein Platz neben Heiko frei. Dieser winkte mich zu sich. Er lächelte mich an. »Ist Deine Verletzung schon geheilt?«
»Anja hat ganz schön durchgezogen.«
Die Servierwagen wurden eingerollte. Wie jedes Mal roch es nach dem gängigen Allerlei. Wahrscheinlich würde nur die Ostermahlzeit besonders sein. Es gab Linseneintopf, den ich normalerweise ganz gerne aß. Heute hatte ich nicht wirklich Lust darauf. Mir war nach drei Tagen Einheitsbrei nach Pommes und Hähnchenschnitzel.
Heiko füllte sich den Teller und reichte mir die Schüssel.
Er lehnte sich dabei zu mir. »Was habt ihr geplant?«
Ich flüsterte zurück: »Wir werden, wenn Alles glatt läuft, heute Nacht mit Siegfried zusammen zum Steinbruch gehen. Bis dahin brauchen wir allerdings den Schlüssel.«
Ich goss mir eine Portion Eintopf in meinen Teller und reichte die Schüssel weiter.
Heiko sah mich an, während er den Löffel zum Mund führte. Nachdem sein Mund leer war, sah er mich wieder erwartungsvoll an.
»Du kannst mitkommen. Es ist ja eine halbwegs offizielle Veranstaltung. Siegfried möchte uns beweisen, dass es im alten Steinbruch nicht spukt.«
»Ich frage mich, ob Herr Helm das mit Herrn Berkowitz besprochen hat. Der würde uns bestimmt nicht zum Steinbruch lassen.«
»Warum nicht?«
»Er hält ihn für zu unsicher.«
»Es ist seit Jahren nichts passiert. Was soll denn jetzt geschehen?«
Heiko schwieg. Er führte einen Löffel nach dem anderen zum Mund. Sein Schmatzen war widerlich.
Als er aufgegessen hatte, wischte er sich den Mund am Pullover ab.
»Sag mal, was waren das denn heute für Typen? Was wollten die hier?«
»Sie suchen Boris. Zumindest glaubt er das. Er ist immer angespannt, wenn sie da sind.«
»Woher weiß er das?«
Ich überlegte. Dabei schob ich mir einen weiteren Löffel in den Mund. Normalerweise neige ich dazu, mein Essen mehr zu inhalieren, als zu genießen. Diesmal war ich allerdings langsamer als üblich.
»Er kennt die Gruppe. Sie müssen schon eine ganze Zeit hinter ihm her sein.«
»Komisch, dass sie ihn nicht erkannt haben.«
Die Idee war mir noch gar nicht gekommen. Wenn er schon so lange vor ihnen floh, warum erkannten sie ihn nicht sofort?
