Als ich ins Zimmer kam, bastelte Boris an seiner Armbanduhr. Ich sah ihm dabei zu und bemerkte, dass ich müde geworden war. Die Ereignisse des heutigen Tages hatten sämtliche Energie aus mir gesaugt. Trotz klopfendem Herz, das immer noch für Julia schlug, waren die Augenlider schwer geworden.
Boris sah mich an. Er lachte kurz auf. »Ich habe den Wecker gestellt. Wir werden pünktlich wach werden.«
»Sieht man mir die Müdigkeit so an?«
»Du siehst aus, wie ein Zombie. Ich bin froh, dass Du Dich nicht wie einer benimmst. Sonst müsste ich Dich leider per Kopfschuss erledigen.«
»Erledigt bin ich schon. Kinder in Deinem Alter sollten übrigens noch nicht wissen, was Zombies sind.«
»Erzähl mir mehr von Kindern in meinem Alter.«
Seine letzte Bemerkung verstand ich nicht. Da ich allerdings schon den Kampf mit dem Schlafanzug angetreten hatte, beließ ich es darauf. Für einen Augenblick schien es so, als würde der Pyjama gewinnen. Meine Glieder waren widerlich schwer. Sobald ich meinen Kopf auf das Kissen legte, war ich eingeschlafen.
Kurz darauf rüttelte jemand an meinem Arm.
Das Zimmer war dunkel. Ein paar Schemen huschten durch die Nacht. Boris hatte sich über mich gelehnt. »Warum hast du den blöden Schlafanzug angezogen? Du wirst Dich jetzt erst einmal umziehen müssen.«
Meine Knochen waren schwer wie Blei. Ich musste alle Kraft aufbringen, meine Beine aus dem Bett zu schwingen.
Daniel und Jörg standen angezogen hinter Boris. Sie lächelten mich an. Den Beiden sah man ihre Freude an. Es war, als hätten man ihnen Espresso gespritzt.
Jörg ließ seine Hand auf Boris Oberarm landen. Er sagte: »Wir sollten jetzt los.«
Ich schüttelte den letzten Schlaf aus meinem Kopf. Etwas zu schwerfällig zog ich mich um.
»Ist es draußen ruhig? Hat jemand mal aus dem Fenster geschaut?«
Jörg sagte: »Die Bläser sind alle in ihren Zimmern. Das dauerte bis halb zwölf. Jetzt sind sie allerdings alle weg.«
Daniel schüttelte den Kopf und sagte: »Die Nacht morgen, wäre eigentlich besser für eine solche Aktion. Am Karfreitag sind die Brüder früher im Bett.«
Boris sah ihn irritiert an. »Gibt es keine Bläserinnen?«
»Die sind bei uns so selten wie vierblättrige Kleeblätter. Eigentlich kann man sie als Mutationen ansehen. Das liegt daran, dass viele Chorleiter meinen, dass Frauen irgendwann viel zu abgelenkt durch ihre Berufung als Mütter sind.«
»Das solltes Anja definitiv nicht hören.« Boris schüttelte den Kopf.
Jörg stand an der Tür und öffnete sie vorsichtig. Er wirkte angespannt. Seine Körperhaltung glicht nicht mehr dem furchlosen Anführer, den er sonst auf dem Sportplatz darstellte.
Er drehte sich zu uns um und nickte. Dann huschte er durch den Spalt. Boris und Daniel folgten ihm.
Ich drehte mich noch einmal um. Heiko lag in seinem Bett. Seine Augen waren offen. »Willst Du doch mit?«. Er schüttelte den Kopf und zog dann die Bettdecke höher. Sie reichte ihm jetzt fast bis zu Nase. Dann drehte er sich von mir weg.
Ich schlüpfte durch den Türspalt und schloss die Tür hinter mir.

Von SackingBob74

1974 in Dorsten geboren, entdeckte man früh das fehlende sportliche Talent des Autors. Über Jahre erlernte er mühsam das Lesen und Schreiben, wobei er mit dem Letzteren immer seine Probleme hatte. Die Lehrer bescheinigten ihm ein hohes Maß an Fantasie und Flexibilität in der Rechtschreibung. Aus den oberen Gründen stand ihm lediglich der Zweig der Naturwissenschaften offen. Sein Werdegang wurde 2008 an Halloween mit einer Promotion in Chemie belohnt. Sein erstes Buch »Niedermolekulare Co-Kristallisation« erwies sich als Ladenhüter (Essener Uni-Bibliothek, wird wahrscheinlich z.Z. im unzugänglichen Keller aufbewahrt). Um eine breitere Öffentlichkeit zu erreichen, beschloss der Autor, das Genre zu wechseln. Seit ein paar Jahren veröffentlicht er in seinem Blog >SackingBob74.de< Geschichten über sich und die personalisierten Jahreszeiten. Er lebt mit seiner Familie in Gladbeck.