Das Eis zwischen meinem Onkel und mir war gebrochen. Als der zwar akkurat, wenn auch leicht heruntergekommen gekleidete Herrn Berkowitz uns verließ, konnte man die Veränderung förmlich fühlen. Es war, als wäre die Luft plötzlich wärmer geworden. Wir plauderten ungezwungen, bis Anja uns unterbrach.
Sie zischte mir zu: »Hast Du Boris gesehen?«
Mein Onkel sah zu ihr hinüber. »Hallo Anja. Du gehörst wohl auch zu der unbeugsamen Gruppe der Nachtwanderer?«
Anja nickte ihm zu. »Wir wollten nur unsere Unterhaltung vom Abend ungestört weiterführen. Daran kann man doch nichts aussetzen.« Erleichtert atmete ich aus. Obwohl wir uns nicht abgesprochen hatten, passte ihre Ausrede zu meiner. Zum Glück bemerkte mein Onkel die Unstimmigkeiten nicht. Nach meiner Erklärung wäre Anja nicht als Erste auf dem Flur erwischt worden. Wir wollten sie ja besuchen, um mit ihr zu plaudern und nicht umgekehrt.
»In eurem Alter schließt man schnell auf andere Dinge.« Mein Onkel lächelte breit. Dann blinzelte er komisch in meine Richtung. Was er damit andeuten wollte, konnte ich allerdings nicht enträtseln.
Er lacht auf, sah sich um und studierte die Gesichter der Kinder. »Wer ist denn dieser geheimnisvolle Dritte in eurer Clique?«
Boris tauchte in diesem Augenblick auf dem Weg aus dem Wald auf, als hätte man ihr gerufen. Anja ließ erleichtert die Luft aus ihrer Lunge fahren. Ich nickte in seine Richtung. »Er kommt dadrüben.«
Mein Onkel drehte sich. »Ich kenne ihn nicht. Aus welcher Gemeinde kommt er?«
»Soweit ich weiß, kommt er aus keiner Gemeinde. Seine Eltern sind auch nicht bekannt.«
»Wie kommt er dann auf die Freizeit?«
»Das weiß keiner.«
Mein Onkel kratzte sich am Kinn. Er sah nachdenklich zu Boris hinüber. Anja hatte sich in der Zwischenzeit aufgemacht und ging auf Boris zu.
Mein Onkel und ich folgten ihr.
Boris hatte das Empfangskomitee noch nicht gesehen. Er ließ seinen Kopf hängen. Der Schlüssel baumelte an der Kette um seinen Kopf. Die einzelnen Teile hatten sich gelöst. Sie klapperten bei jedem Schritt gegeneinander.
Anja hatte Boris als Erste erreicht. »Es hat nicht geklappt?«
Mein Onkel sah mich an und fragte: »Was hatte er denn vor?«
»Er wollte im Wald ein paar Sachen finden, mit denen wir basteln wollten.«
Die Ausrede klang in meinen Ohren extrem schwach. Eigentlich hätte ich mich immer als schlechten Lügner bezeichnet. Die Situation überforderte mich. Die Worte, die mir aus dem Mund kamen, waren nur noch lose improvisiert.
Boris sah zu uns hoch und schüttelte den Kopf.
So laut, dass jeder es hören konnte, sagte ich: »Du hast noch nicht einmal ordentliche Zweige zum Basteln gefunden?«
Anja wirbelte zu mir herum. Anschließend blickte sie in das Gesicht meines Onkels. Sie nickte und drehte sich zurück zu Boris. »Das ist wirklich schwach von Dir. Eigentlich hätte ich mehr erwartet. Das kommt davon, wenn man einen Jungen darum bittet, etwas zu erledigen.«
Mein Onkel lachte. »Vielleicht hat er einfach nicht lang genug gesucht. Wir können ja noch einmal in den Wald und gemeinsam schauen.«
»Nein, wir müssen uns dringend umziehen. Gleich gibt es Mittagessen. Das möchte ich nicht verpassen.«
Mein Onkel grinste mich an. »Wenn Du so weiter isst, dann bekommst Du noch den klassischen Bauch, mit dem wir Alle in der Familie gesegnet sind.«
Ich musste laut lachen. »Aus Erfahrung wird das wohl mehr als wahrscheinlich.«

2 Gedanken zu „Boris kommt zurück“
Kommentare sind geschlossen.
Aha, in deiner Familie hatten wohl auch alle „schwere Knochen“. 😂
Sowohl von Omas, wie auch von Opas Seite. Alle schwer!