In der Bibelstunden saßen Boris und Anja jeweils an einer meiner Seite, was mir unpraktisch erschien, da sie sich die gesamte Zeit miteinander unterhielten. Zwischenzeitlich guckte Herr Berkowitz immer wieder strafend in unsere Richtung, was den Beiden jedoch nichts ausmachte.
Wir waren in den Ferien und Quatschen war zumindest bei Siegfried nicht verboten. Außerdem war heute eine Gruppenarbeit angedacht, sodass die Diskussion über weite Strecken nicht weiter auffiel. Wir sollten den ersten Brudermord der Bibelgeschichte aufarbeiten und erklären, wieso es dazu kam.
Die einfachste Antwort, dass der Glaube an Gott, d.h. die Religion daran schuld war, wollte sicherlich keiner hören. Die Beziehung zwischen Juden, Christen und Moslems, die bekanntlich an den gleichen Gott glauben, weist erschreckende Parallelen zum Brudermord von Kain an Abel auf.
Was wir hingegen daraus lernen, dass Gott die Tieropfer von Abel bevorzugte, während er die vegetarische Kost von Kain verachtete, wollte niemand diskutieren. Ich für meinen Teil, in meiner eigenen kleinen Welt, schloss daraus, dass Gott Vegetarier hasste. Diese Weisheit traute ich allerdings nicht laut auszusprechen.
Meine beiden Sitznachbarn unterhielten sich über die folgende Nacht. Anja sagte: »Ich will dieses Tor erst einmal selbst sehen. Vielleicht verstehe ich ja, wie man die Schlüssel benutzen muss.«
»Wenn wir heute Sport machen, könnten wir uns ja heimlich davonstehlen und einen Blick darauf werfen. Was meinst Du dazu?«, sagte Boris.
»Das würde den Betreuern auffallen. Eine wirklich blödsinnige Idee. Wenn alle wieder Fußball spielen und nur drei Leute fehlen, dann ist das ein sicheres Zeichen, dass irgendetwas nicht stimmt.«
Ich blickte in Richtung Fenster und sagte: »Habt ihr beiden Experten mal nach draußen geschaut?«
Die Köpfe drehten sich synchron. »Ach Mist.«, sagte Boris. »Hält uns das auf?«, fragte Anja. »Würde ich denken.«, folgte mein Kommentar.
»Wenn ihr bei dem Wetter vor die Tür geht, wird man sofort an euren nassen Klamotten sehen, wo ihr gewesen seid. Außerdem wäre das Theater außergewöhnlich. Wie wollt ihr erklären, was ihr gemacht habt?«
Boris sah mich an und sagte: »Ich glaube wir müssen unseren Plan verschieben.«
»Da das jetzt geklärt ist, können wir genausogut an der Bibelarbeit teilhaben.«
Anja rollte mit den Augen und sagte: »Ist aber voll langweilig. Ich weiß schon wer der Mörder ist, selbst wenn Gott in der Geschichte erst fragen musste.«
Boris stimmt ihr zu. »Die Auflösung sofort zu präsentieren, ist kein guter Trick, solange man den Detektiv nicht über hundert Unwägbarkeiten schickt, um den Mord aufzuklären. Mit einem Allmächtigen auf einer Seite macht die Sache einfach keinen Spaß.«
»Ihr sollt nicht über den Schreibstil sonder über die Moral sprechen.«
»Ich hatte befürchtet, dass Du das sagst.«, meinte Anja und sah bedrückt zu mir hinüber.

2 Gedanken zu „Die Bibelstunde am 2. Tag“
Kommentare sind geschlossen.
Ich glaub‘, du machst es dir da ein bisschen einfach. Immerhin sind alle Menschen Nachfahren des Vegetariers. Könnte allerdings das leicht gestörte Verhältnis von Schöpfer und Geschöpften erklären…
Ach Alice – ich gehe davon aus, dass die Bibel, wie auch alle anderen heiligen Bücher, vom Menschen erfunden wurden. Dass die drei Großen Religionen vom recht gestörten Individuen geschrieben wurden – „Fleisch = gut, Pflanzen = schlecht“ – ist eine lustige Pointe, ganz besonders in Hinblick darauf, dass wir von Vegetariern abstammen. 😜😇