Boris rannte vor. Er wollte schnell zurück zum Graben, damit keiner unsere Abwesenheit bemerkte.
Als wir dort ankamen, erklang ein wilder Schrei. Er kam von hinten. Schnell wirbelte ich herum. Ich sah gerade noch rechtzeitig, wie Sarah und Hanna hinter ein paar Bäumen hervorsprangen.
Heiko, als Letzter unserer Gruppe, hatte keine Chance. Er wurde von den beiden Mädchen von beiden Seiten umkreist. Wie er da zwischen ihnen stand, sah er aus, wie eine Schildkröte, welche vom Scheinwerfer eines Schnelltransporters geblendet, weiß, dass sie gleich sterben wird. Seine zu einem Pony geschnittenen Haare fielen ihm über die Augen. Seinen Kopf hatte er eingezogen, die Achseln hochgezogen. Er starrte hilflos auf Sarah.
Ich wollte zwischen ihn und seine Angreiferinnen kommen, doch Hanna war schneller. Sie griff nach seiner Hand.
Ihre Hand war für mich erreichbar. Ich sprang und packte sie, noch bevor sie Heiko erreichte. Mit einem sicheren Griff zerriss ich ihr Band. Sie heulte auf, als hätte ich sie geschlagen.
Sarah hatte in dieser Zeit Heiko umrundete, der sich immer noch nicht rührte. Er streckte ihr förmlich seinen Arm entgegen.
Siegessicher riss Sarah ihm das Band ab und drehte sich zu mir.
Boris stand plötzlich neben mir. Wir wollten gerade auf Sarah losgehen, als hinter uns ein Schrei ertönte. Es war Jörg. »Hinter euch!«
Ich drehte mich instinktiv um die eigene Achse und hielt meine rechte Hand hinter dem Rücken. Vor mir, nur ein paar Schritte entfernt, stand Julia. Sie hatte sich an mich herangeschlichen. Ich roch ihren warmen Geruch nach Blumen.
Boris schrie erneut auf. Er hatte den Kampf mit Sarah aufgenommen, wobei Heiko und Hanna am Wegrand standen und anscheinend beide Sarah anfeuerten. Ich hatte keine Zeit den beiden zuzusehen.
In Julias Blick spiegelte sich Entschlossenheit. Sie sah so konzentriert aus, als wolle sie mich gleich erschießen. Ihre Haltung war geduckt. Sie stand kurz davor mich anzuspringen. Ihre blauen Augen waren Laserstrahlen, die mein Hirn zum Kochen brachten.
Ihr Aussehen verschlug mir die Sprache, trocknete meinen Mund aus. Ich starrte sie an.
Hinter ihr sah ich Jörg, der auf uns zu rannte und etwas in den Händen hielt. Es war die blaue Fahne. Er musste sie zu Siegfried bringen, um das Spiel zu beenden. Ich wollte nicht, dass er uns stört.
»Wir kommen hier klar. Bring das Ding zum Ziel.«
Jörg schien mich nicht zu hören. Er rannte weiter auf Julia zu. Anscheinend hatte er einen so großen Helferkomplex, dass ihm das Gewinnen kurzerhand entfallen war. Er würde meinen Moment mit Julia stören.
Sie schaute über ihre Schulter zu Jörg. Das war der Moment, in dem ich handeln musste. Schnell griff ich nach ihrer Hand, doch in dem Moment, als ich sie fast erreicht hatte, griff sie nach meinem ausgestrecktem rechten Arm. Sie lächelte mich katzenhaft an.
Ich zog den Arm zurück und brachte sie damit zum Stolpern. Wir kamen uns näher, so als würden wir uns gleich umarmen. Ich spürte ihren Körper an meinem, spürte ihre Hand auf meinem Arm. Mir schoss das Blut in den Kopf. Mein Herz pochte wie tausend Pauken. Sie griff nach meinem Band, während ich wie gelähmt da stand.
Plötzlich zerriss jemand Julias Band. Es ging so schnell, dass ich es kaum sah. Ich wollte ihr helfen, schubste sie dabei jedoch von mir weg. Sie landete mit einem schmatzenden Geräusch auf dem feuchten Boden.
Boris stand neben mir und hatte zwei blaue Bänder in der Hand.
