Herr Berkowitz riss die Arme in die Luft und sagte in einer überdeutlichen und getragenen Stimme: »Jesus Christus hat uns erlöst. Er ist das System, auf dem unser Glauben ruht. Wir legen unsere Leben auf den Altar des Lammes, das unsere Sünden trägt.« Wahrscheinlich wollte er in dieser Pose wie Mose wirken, der gerade das Meer teilt. Er erinnerte mich allerdings eher an einen verzweifelten Marktschreier, der seine vergammelten Fische nicht loswird.
Boris flüsterte: »Willst Du ihm wirklich zuhören? Das Ganze klingt extrem langweilig.«
»Gib ihm eine Chance. Letztendlich sind wir hier auf einer evangelisch-lutherischen Kinderfreizeit. Das Programm ist kompromiss- und alternativlos.«
Herr Berkowitz riss die Arme nach unten. Seine Augen waren zu zwei Schlitze geworden, während er in unsere Richtung blickte. »Willst Du noch etwas dazu sagen, Sebastian?«
»Ich sagte gerade zu Boris, dass wir mit dem Betriebssystem ›Christ-DOS‹ formatiert sind. Nur auf ihm laufen unsere Programme.«
Mit einem Stirnrunzeln sagte der Leiter: »Ja genau das wollte ich sagen. Danke Dir.«
»Kein Problem, ich übersetzte gerne für die jungen Leute, die hier im Raum sitzen.«
»Ich möchte Dich trotzdem bitten, die Privatunterhaltungen einzustellen.«
Anja flüsterte: »Wären wir noch weiter in die Vergangenheit gereist, hätte er jetzt die Gelegenheit seinen Rohrstock auszupacken, um uns Gehorsam beizubringen.«
Der Leiter, der auch heute den gleichen schlecht sitzenden Anzug anhatte, schüttelte sich und versuchte zurück in sein Konzept zu finden. Dabei blickte er sich suchend um, als würde der rote Faden, den er augenscheinlich verloren hatte, hier irgendwo liegen.
»Wir wollen heute über die Schöpfung sprechen, so wie Gott es uns sagt. Sie beschreibt die Entstehung der Welt.
Vielleicht gibt es ja den einen oder andern, der schon von der Evolution gehört hat. Dieser wissenschaftliche Weg führt in die Irre. Gott wirkte, wie er es schrieb und nicht, wie man es uns glauben machen möchte.«
Meine Hand schnellte nach oben. »Ist es nicht so, dass sich die Schöpfungsgeschichte prima mit der Evolution in Einklang bringen lässt?
In Psalm 90:4 steht doch: ›Denn tausend Jahre sind vor dir wie der Tag, der gestern vergangen ist, und wie eine Nachtwache.‹, was belegt, dass Gottes Zeitrechnung anders läuft.
Wenn wir jetzt die Abläufe der Schöpfung mit denen der Evolution vergleichen, dann weist die Reihenfolge doch eine frappierende Ähnlichkeit auf.«
»Und was ist dann mit Adam und Eva?«
»Im hebräischen wird nicht zwischen Plural und Singular unterschieden. Adam und Eva können daher Personengruppen bezeichnen.«
»Du willst die biblische Schrift nur sinnbildlich verstehen? Gott hat uns sein Wort gegeben, auf dem wir seine Kirche gebaut haben. Wenn Du die Worte verwässerst, dann durchlöcherst Du das Fundament unseres Glaubens.«
Boris flüsterte leise: »Außerdem ist der Sündenfall bei Deiner Argumentation hinfällig. Ohne Sündenfall keine Sünde und damit auch keine Notwendigkeit, für sie zu sterben.«
Noch lauter sagte Herr Berkowitz, der sich anscheinend wieder an seinen Text erinnerte: »Die Evolution ist ein Werk des Teufels. Sie ist nur eine Theorie. Wir wissen, dass sie gegen unseren Glauben nicht bestehen kann. Theorien ändern sich, doch unser Glauben ist fest.«
Ich zuckte kurz mit der Hand, doch Anja hielt sie fest. »Ärgere ihn nicht noch mehr, sonst verliert er völlig den Faden. Hör einfach zu.«

Von SackingBob74

1974 in Dorsten geboren, entdeckte man früh das fehlende sportliche Talent des Autors. Über Jahre erlernte er mühsam das Lesen und Schreiben, wobei er mit dem Letzteren immer seine Probleme hatte. Die Lehrer bescheinigten ihm ein hohes Maß an Fantasie und Flexibilität in der Rechtschreibung. Aus den oberen Gründen stand ihm lediglich der Zweig der Naturwissenschaften offen. Sein Werdegang wurde 2008 an Halloween mit einer Promotion in Chemie belohnt. Sein erstes Buch »Niedermolekulare Co-Kristallisation« erwies sich als Ladenhüter (Essener Uni-Bibliothek, wird wahrscheinlich z.Z. im unzugänglichen Keller aufbewahrt). Um eine breitere Öffentlichkeit zu erreichen, beschloss der Autor, das Genre zu wechseln. Seit ein paar Jahren veröffentlicht er in seinem Blog >SackingBob74.de< Geschichten über sich und die personalisierten Jahreszeiten. Er lebt mit seiner Familie in Gladbeck.