Wir unterhielten uns während des gesamten Essens über Literatur. Daniel las gerne die Klassiker, während Boris neuere Literatur bevorzugte. Anja lehnte so gut wie alles ab.
Wie von Daniel und Jörg vorhergesehen, wurden Andere zum Tischdienst bestimmt, ganz zur Freude der Beiden. Damit hatten wir eine kurze Pause bis zum nächsten Tagungsordnungspunkt.
Als die Anderen zur Bibelstunde eilten, hielt ich Anja an der Tür zum Saal zurück. »Mit wem saß denn Julia am Tisch?«
»Das sind meine Mädchen. Die blonde Sarah mit den Zöpfen kennst Du ja schon von gestern Abend. Die Dunkelblonde mit der Kurzschnittfrisur ist Hanna.
Die Drei gehen mir auf den Keks. Sie sind so brav, dass man sie als Barbiepuppen verkaufen könnte. Wahrscheinlich sind sie innerlich genauso hohl wie ihr Vorbild. Selbst Blumen wochenlang beim Welken zuzusehen, stelle ich mir interessanter vor, als den Dreien eine halbe Stunde lang zuzuhören.«
»Aber Julia ist doch eine Ausnahme oder?«
»Sie ist wie ein Abziebildchen in einer Mädchen & Pferde-Zeitschrift: Hübsch anzusehen, auf der anderen Seite etwas klebrig und wenn sie mal irgendwo dranhängt, ungemein schwer wieder loszuwerden.«
»Sie ist so schön.«
Anja boxte mir mit ihrem Ellbogen mit voller Kraft in den Magen. Herr Berkowitz, der in der Nähe stand, hatte dies gesehen und blickte sie strafend an.
Entschuldigend sagte Anja: »Oh ich muss gestolpert sein. Bitte entschuldige mich.«
Dann ging sie einen Schritt schneller an Herrn Berkowitz vorbei.
Ich fand sie an einem kleinen Tisch, an dem sie mit Boris zusammen kicherte. Ich gesellte mich zu ihnen.
Anja blickte nur kurz auf. »Willst Du Dich nicht lieber zu Deiner Flamme setzen?«
»Die ist noch nicht da und letztendlich sind eure Gespräche sehr lustig.«
Boris hatte seine Bibel vor sich hingelegt. Er beugte sich darüber.
Ich wollte ihn gerade fragen, was er gerade las, als Herr Berkowitz lautstark hinter sich die Tür schloss.
Er sagte: »Es ist schön, dass Ihr euch alle eingefunden habt. Es fehlen noch die Kinder vom Tischdienst, aber letztendlich können wir schon einmal anfangen.
Das Thema heute, ist das erste Buch Mose – ›Genisis‹. Wer hat das Buch schon einmal gelesen?«
Ich zeigte als Einziger auf.
Herr Berkowitz sah überrascht in meine Richtung. »Was hast Du daraus gelernt?«
»Dass verdammt viele Leute verdammt viele Leute zeugten – wobei ich gerade zu diesem Thema noch einige Fragen habe.«
Einige Kinder lachten. Der Leiter erhob beschwichtigend die Hände. »Wir wollen nicht darüber sprechen. Tatsächlich wollen wir uns über die Schöpfung unterhalten.«
Boris verdrehte die Augen und sagte: »Na Prima! Kreationismus ist genau das, was ich jetzt brauche.«

Von SackingBob74

1974 in Dorsten geboren, entdeckte man früh das fehlende sportliche Talent des Autors. Über Jahre erlernte er mühsam das Lesen und Schreiben, wobei er mit dem Letzteren immer seine Probleme hatte. Die Lehrer bescheinigten ihm ein hohes Maß an Fantasie und Flexibilität in der Rechtschreibung. Aus den oberen Gründen stand ihm lediglich der Zweig der Naturwissenschaften offen. Sein Werdegang wurde 2008 an Halloween mit einer Promotion in Chemie belohnt. Sein erstes Buch »Niedermolekulare Co-Kristallisation« erwies sich als Ladenhüter (Essener Uni-Bibliothek, wird wahrscheinlich z.Z. im unzugänglichen Keller aufbewahrt). Um eine breitere Öffentlichkeit zu erreichen, beschloss der Autor, das Genre zu wechseln. Seit ein paar Jahren veröffentlicht er in seinem Blog >SackingBob74.de< Geschichten über sich und die personalisierten Jahreszeiten. Er lebt mit seiner Familie in Gladbeck.