Nachdem man mir auf dem Revier meine Rechte vorgelesen hatte, fragte ich nach meinem erlaubten Anruf. Herr Paul sah mich überrascht an und sagte: »Sie wollen jetzt schon ihren Anwalt einschalten? Dann haben Sie also etwas zu verbergen?«
Stockend antwortete ich: »Eigentlich wollte ich meine Mutter anrufen, damit sie mir die Zahnbürste bringt, weil es doch so aussieht, als würde es diesmal länger dauern.«
»Beim letzten Mal war ihr Besuch nicht von Dauer.« Er ließ eine Kunstpause, in der er sich den Schnäuzer rieb und fuhr dann fort: »Diesmal wird ihre Partnerin sie nicht befreien?«
Die Augen nach oben verdreht, sagte ich: »Sie ist nicht meine Partnerin. Wir sind nur befreundet.«
»Jetzt sind sie also befreundet? In der Vergangenheit nannten sie sie noch abwertig ›Zugelaufene‹.«
»Lediglich ein Status.«
Der Kommissar glotzte mich an, als wolle er meine Größe schätzen, und sagte: »Wie haben sie es überhaupt hinbekommen, hier aus der geschlossenen Kammer zu fliehen? Hat sich ihre Freundin in Nebel aufgelöst, wie sie es geplant hatte?«
Ich schüttelte den Kopf und sagte: »Sie hatte nichts damit zu tun. Mitten in der Nacht bin ich wach geworden und da standen alle Türen auf und ihre Leute schliefen tief und fest. Es war Magie.«
»Dass der Schlaf nicht natürlich war, hatten wir uns schon gedacht. Es muss irgendein Gas gewesen sein. Wie haben sie das bloß in die Zelle geschmuggelt?«
Ungeduldig scherzte ich: »Die Gasflaschen hatte ich mir vorher ganz tief in den Hintern gesteckt, so dass sie sie nicht finden konnten.«
Herr Paul schien zu strahlen, als er sagte: »Das ist ein sehr gutes Versteck. Diesmal lasse ich sie ausgiebig an dieser Stelle untersuchen.«
Ich verzog mein Gesicht und machte mir die zweite Notiz, dass der Mann vor mir weder Ironie noch Sarkasmus verstand.
Der Kommissar drehte sich um und griff nach einem veralteten Telefon, welches auf dem Tisch neben ihm stand. Der dunkelgrüne Ton des Geräts ließ mich für einen Augenblick vermuten, dass sich auf der Frontseite eine Drehscheibe befinden würde.
Ich sagte: »Ihr Equipment scheint vorsintflutlich. Außerdem brauche ich mein Telefonbuch, sonst finde ich die Nummer meines Anwalts bestimmt nicht.«
Der Mann vor mir schüttelte den Kopf und sagte: »Kein Mensch kennt mehr Telefonnummer auswendig. Das ist alles so traurig.«
»Wenn man das Telefon sieht, möchte man darauf lieber trommeln, als es sich ans Ohr zu halten.«

Von SackingBob74

1974 in Dorsten geboren, entdeckte man früh das fehlende sportliche Talent des Autors. Über Jahre erlernte er mühsam das Lesen und Schreiben, wobei er mit dem Letzteren immer seine Probleme hatte. Die Lehrer bescheinigten ihm ein hohes Maß an Fantasie und Flexibilität in der Rechtschreibung. Aus den oberen Gründen stand ihm lediglich der Zweig der Naturwissenschaften offen. Sein Werdegang wurde 2008 an Halloween mit einer Promotion in Chemie belohnt. Sein erstes Buch »Niedermolekulare Co-Kristallisation« erwies sich als Ladenhüter (Essener Uni-Bibliothek, wird wahrscheinlich z.Z. im unzugänglichen Keller aufbewahrt). Um eine breitere Öffentlichkeit zu erreichen, beschloss der Autor, das Genre zu wechseln. Seit ein paar Jahren veröffentlicht er in seinem Blog >SackingBob74.de< Geschichten über sich und die personalisierten Jahreszeiten. Er lebt mit seiner Familie in Gladbeck.