Ich merkte, wie Julia während der Bibelstunde immer wieder zu mir hinüber schaute. Sie lächelte mich dabei komisch an.
Im Gegensatz dazu versuchte ich, ihren Blicken auszuweichen – versuchte so zu tun, als würde ich es nicht merken.
Nach der Stunde war sie schneller an der Tür und baute sich direkt vor mir auf. »Was war denn gestern Nacht los?«
Ich schüttelte den Kopf. »Das müsstest Du doch ganz genau wissen.«
»Was soll ich denn wissen?«
»Wir wurden verraten. Herr Berkowitz und Herr Helm fingen uns am Steinbruch ab. Siegfried will, dass unsere Eltern uns abholen. Dass wir noch nicht weg sind, liegt nur daran, dass mein Onkel ein gutes Wort für uns eingelegt hat.«
Julia schüttelte ungläubig ihren Kopf. Sie sah mir direkt in die Augen und fragte: »Wer hat euch denn verraten? Wie konnten Herr Helm und Herr Berkowitz von eurem Abenteuer erfahren?«
»Das weißt Du doch am besten. Du bist die Einzige, die es den beiden verraten konnte. Dabei habe ich Dir vertraut.«
Ihr Gesichtsausdruck wurde länger. Sie ließ ihren Mund offen stehen.
Ich wollte mich gerade wegdrehen, um an ihr vorbei zu schlüpfen, als sie meinen Arm fasste.
»Ich war das nicht.«
Ich blickte in ihre Augen. Meine Gedanken verfingen sich in dem Blau ihrer Pupillen. In der Nähe sahen ihre Sommersprossen noch schöner aus. Außerdem roch sie wie ein frisch gepflückter Blumenstrauß. Mein Herz setzte aus und meine Hände wurden feucht.
Stockend sagte ich: »Aber Du warst die Einzige…«
Julia schüttelte erneut den Kopf.
»Ich war gestern Nacht gar nicht wach. Anja hat vergessen, mich zu wecken.«
»Du meinst, sie hat Dich nicht wach bekommen?«
»Normalerweise werde ich von jedem Geräusch wach. Ich glaube, dass sie es noch nicht einmal versucht hat.«
»Aber wer war es dann?«
Julias Stirn legte sich in Falten. »Wir saßen gestern Abend nicht allein am Tisch. Jeder hätte uns zuhören können.«
»Du meinst, es war eine Deiner Freundinnen?«
»Sarah und Hanna traue ich so etwas nicht zu. Wer saß gestern noch an unserem Tisch?«
Ich konnte mich an Keinen, außer an Julia erinnern. Seitdem ich ständig die Plätze tauschte, nur um so weit entfernt wie möglich von meinen Freunden getrennt zu sitzen, hatte ich den Überblick verloren. Die anderen Kinder außerhalb unserer kleinen Gruppe waren zu einem bunten Gewirr geworden. Es war nicht so, als würde ich sie nicht mögen. Sie waren mir allerdings grundsätzlich egal.
»Ich habe keine Ahnung, wer noch an unserem Tisch saß. Es könnte jeder gewesen sein.«
»Ich war es auf jedenfalls nicht.«
Eine tonnenschwere Last fiel mir von den Schultern. Ich lehnte mich vor und umschloss Julia mit einer Umarmung. Das geschah so schnell, dass sie kaum eine Chance zum Ausweichen hatte.
Ich flüsterte ihr ins Ohr: »Danke.«
Ihre Arme legten sich um meinen Körper. Sie erwiderte die Umarmung.
