Auf dem Weg zum Frühstück wurde ich von Siegfried abgefangen. Er bat mich, sofort in sein Büro zu kommen.
Boris und Anja waren schon da, ignorieren mich allerdings komplett. Sie standen am Tisch und starrten in die Ferne.
Daniel und Jörg erschienen kurz nach mir. Sie ließen ihre Köpfe hängen und stellten sich an die hintere Wand.
Siegfried kam nach ihnen ins Büro. Sein Gang war langsam. Um seine Augen lagen dunkle Ringe. Er wirkte an diesem Morgen viel älter.
Er setzte sich auf den Stuhl hinter seinem Tisch und betrachtete uns der Reihe nach. Nur Anja und Boris hielten seinem Blick stand.
Diesmal lag kein Lächeln auf seinem Gesicht. »Ihr wisst, warum ihr hier seid. Wir brauchen uns nicht darüber zu unterhalten, was ihr falsch gemacht habt.«
Siegfried blickte zu Daniel und Jörg. Mit einem Nicken in ihre Richtung sagte er: »Ich werde nach diesem Gespräch eure Eltern anrufen. Es liegt in ihrem Ermessen, ob sie euch abholen.«
Er schwieg eine Weile. »Bei euch, Anja, Boris und Sebastian, liegt die Sache anders. Ich werde länger mit euren Eltern sprechen müssen und ihnen raten, euch abzuholen. Soweit ich das sehe, wollt ihr unsere Regeln nicht befolgen. Es hat also wenig Sinn, dass ihr weiterhin hierbleibt. Darüber sind Wilhelm und ich uns einig.«
Wahrscheinlich war es mehr die Meinung von Herrn Berkowitz. Trotz der Zuversicht, die Siegfried noch in der Nacht versprüht hatte, wirkte er jetzt innerlich ausgebrannt. Ich stellte mir vor, wie sich die beiden Heimleiter über die Konsequenzen gestritten hatten.
Daniel schluchzte laut. Jörg legte seinen Arm über seine Schulter.
Mit hängendem Kopf sagte ich: »Es tut mir leid. Es gibt keine Entschuldigung für unsere Taten. Wir wollten nicht, dass Du Angst um uns hast. Deine Entscheidung uns rauszuschmeißen ist richtig.«
»Angst hatte ich allerdings. Mit eurer Tat habt ihr euch in Gefahr gebracht. Wer weiß, was beim Steinbruch hätte passieren können. Nicht zu vergessen, dass ihr bei Dunkelheit durch den Wald gerannt seid.« Siegfried lehnte sich in seinem Stuhl zurück.
»Darüber haben wir nicht nachgedacht.«
»Was habt ihr euch denn gedacht?«
»Wir wollten wissen, ob die Geschichten, die man sich über den Steinbruch erzählt, stimmen. Seit Anfang der Freizeit haben wir uns Gedanken darüber gemacht. Ich habe diese alte Legende gehört, dass es dort spukt. Ein Arbeiter, sei dort durch die Hand seines Vorarbeiters gestorben. Sein Geist geht immer noch in der Dunkelheit um. Sein Körper soll ein helles Licht sein. Seine Anwesenheit soll wie ein Sturm wirken.
Viele Menschen haben ihn schon gesehen. Wir wollten ihn mit eigenen Augen betrachten. Er soll der Grund dafür sein, dass der Steinbruch damals schließen musste.«
Siegfried schwieg. Er kratzte sich am Kinn und sah mir in die Augen.
»Ihr wolltet also einen Geist beobachten?«
»Wir Alle haben den Geist doch gesehen. Er war da. Es war Alles so, wie man es uns beschrieben hat.«
»Das war kein Geist, sondern ein Hubschrauber.«
Siegfried lachte heiser. Er fügte hinzu: »Es gibt keine Geister. Das sind Geschichten, die uns Satan einreden will. Es gibt nur ihn, den Engel des Lichts, der uns irreleiten will.«
Er schüttelte den Kopf.
»Außerdem habe ich eine andere Geschichte gehört. Ihr wolltet eine Tür öffnen?«
Für einen Augenblick war ich ratlos. Wie konnte Siegfried davon erfahren haben?
Schnell ließ ich den Kopf hängen. »Wir hatten gehört, dass die Leiche des Arbeiters hinter einer geheimen Tür liegt. Diese Tür war unser Ziel. Wir hatten allerdings keine Zeit für die Suche. Hätten wir sie gefunden, hätte der tote Arbeiter, ein richtiges Begräbnis bekommen. Dann hätte seine Seele vielleicht Ruhe.«
Siegfried schüttelte den Kopf. Er stand auf und trat hinter seinem Tisch hervor. Dann baute er sich direkt vor mir auf.
»Es gibt keine Geister. Was ihr gesehen habt, war nur ein Trugbild. Währt ihr in einer anderen Nacht dort gewesen, hättet ihr gar nichts gesehen.«
»Aber wir haben etwas gesehen. Vielleicht gibt es den Geist doch.«
»Wenn ihr darauf besteht, beweise ich euch, dass es keinen Geist gibt. Wenn ihr mir nicht glauben wollt, könnt ihr es selbst sehen.«
»Du willst mit uns in dieser Nacht noch einmal zum Steinbruch gehen?«
Ich blickte Siegfried neugierig an. War er tatsächlich so leicht zu manipulieren? Siegte meine Frechheit über seine Angst?
Daniel flüsterte etwas. Siegfried drehte sich zu ihm. »Was hast Du gesagt?«
Etwas lauter und mit brüchiger Stimme sagte Daniel: »Ich habe Angst vor dem Geist. Wenn es der Teufel ist, der dort auf uns wartet, dann sind wir verloren.«
Siegfried lachte und klatschte in die Hände. »Es gibt keinen Geist und das werden wir heute Abend beweisen. Ich wollte schon immer eine Nachtwanderung durchführen. Das wäre eine sehr gute Gelegenheit.«
Boris sah mich überrascht an. Anja hatte ein Lächeln im Gesicht.
Ich sagte: »Was ist, wenn es tatsächlich der Teufel ist, der dort auf uns lauert, wie Daniel das glaubt?«
»Wer werden vorher beten, dass Gott uns behütet. Wenn er uns seine Kraft schenkt, haben wir keinen Grund uns zu fürchten.
Ich werde mich trotzdem mit euren Eltern unterhalten und sehen, was sie zu der Sache sagen.« Dann winkte er uns und wir verließen sein Büro.
