Den Morgen über wurden wir voneinander getrennt. Ich hatte kaum eine Chance, mich mit Anja oder Boris zu unterhalten. Selbst während der Bibelarbeit, die quälend langweilig dahinzog, waren wir in die drei Ecken des Raums verteilt.
Als ich zu Julia guckte, erntete ich nur einen abschätzigen Blick. Anscheinend hatten die Ereignisse des gestrigen Abends sich schon rumgesprochen. Sie tuschelte angeregt mit ihren Freundinnen Sarah und Hanna, die ebenfalls immer wieder zu mir rüber schauten.
Die Geschichten von Jakob und Esau, die ich schon 100 Mal gehört hatten, interessierten mich an dem Tag einfach nicht. Sicherlich war der Trickbetrüger Jakob, den der Herr gegenüber seinem strebsamen Bruder bevorzugte, erneut ein treffliches Beispiel dafür, dass Regelwidrigkeiten bei Gott gar nicht mal so schlimm sind. Jedoch glaubte ich nicht, dass Siegfried davon etwas wissen wollte.
Während der Monolog auf uns niederprasselte, schaute ich nach draußen. Dort fuhren mehrere schwarze Limousinen auf den Hinterhof.
Schnell sah ich zu Boris, der die Autos ebenfalls aufgefallen waren. Er rutschte in seinem Stuhl hinunter und sah blass aus.
Aus den Autos stiegen allerdings nicht, wie erwartet, Männer in schwarzen Anzügen, sondern relativ normal gekleidete Menschen. Jedenfalls soweit man es normal nennt, wenn alles an ihnen irgendwie veraltet wirkt. Die meisten Kleidungsstücke sahen so aus, als hätte man sie schon zu oft gewaschen oder preiswert eingekauft.
Die Frauen, die aus den Autos stiegen, hatten zu einem überwiegendem Teil, lange Röcke an, die bis an den Boden reichten. Manche von ihnen hatten die Haare zu einem Dutt geformt und mit zwei spitzen Nadeln fixiert.
Die Männer trugen Pullover, die schon in den 70gern als unmodisch galten.
Sie gingen zu den Kofferräumen ihrer Autos und holten kleinere und größere schwarze Koffer heraus.
Anja lachte laut auf. Herr Berkowitz wirbelte zu ihr herum und sagte: »Was ist jetzt daran so witzig?«
Mit einer Handbewegung nach draußen sagte Anja: »Ich habe nur daran gedacht, dass die Bläserfreizeit heute Nachmittag anfängt.«
Siegfried lächelte sanft. »Die gesegneten Klänge werden das Haus mit Musik füllen. Ich mag Bläsermusik auch sehr gerne und verstehe Deine Freude.«
Anja klatschte in die Hände. »Das Haus wird überfüllt sein mit fröhlichen Menschen.«
Ich verstand augenblicklich, was sie damit meinte. Allerdings konnte ich ihre Euphorie nicht teilen. Die Erwachsenen würden sicherlich bis in die Nacht wach sein. Ein Rausschleichen würde definitiv schwerer werden. Außerdem bestand immer die Gefahr, auf späte Spaziergänger zu treffen. Allerdings könnten uns Herr Berkowitz und Siegfried in dem Tumult nicht immer im Auge haben. Wir hätten also mehr Zeit für uns.
Ich bemerkte ein Auto, welches ich kannte und rutschte jetzt selbst in meinem Sitz nach unten. Dem Auto entstieg eine mir sehr vertraute Person.
Dort auf dem Parkplatz stand mein Onkel.

Von SackingBob74

1974 in Dorsten geboren, entdeckte man früh das fehlende sportliche Talent des Autors. Über Jahre erlernte er mühsam das Lesen und Schreiben, wobei er mit dem Letzteren immer seine Probleme hatte. Die Lehrer bescheinigten ihm ein hohes Maß an Fantasie und Flexibilität in der Rechtschreibung. Aus den oberen Gründen stand ihm lediglich der Zweig der Naturwissenschaften offen. Sein Werdegang wurde 2008 an Halloween mit einer Promotion in Chemie belohnt. Sein erstes Buch »Niedermolekulare Co-Kristallisation« erwies sich als Ladenhüter (Essener Uni-Bibliothek, wird wahrscheinlich z.Z. im unzugänglichen Keller aufbewahrt). Um eine breitere Öffentlichkeit zu erreichen, beschloss der Autor, das Genre zu wechseln. Seit ein paar Jahren veröffentlicht er in seinem Blog >SackingBob74.de< Geschichten über sich und die personalisierten Jahreszeiten. Er lebt mit seiner Familie in Gladbeck.

2 Gedanken zu „Die Männer in Schwarz“
    1. Na Du kennst die biblische Geschichten allerdings auch recht gut. 😉
      Aber Recht hast Du auf jeden. So ne gute türkische Linsensuppe oder ein deutscher Eintopf… einfach lecker! Ob ich dafür mein Erbe geben würde, weiß ich allerdings nicht.

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