In meinem Traum unterhielt ich mich mit Julia. Ganz plötzlich wurde es um mich herum hell und jemand rief meinen Namen. Ich öffnete die Augen und blickte in das Gesicht von Daniel. Er lächelte mich an und sagte: »Du Schlafmütze verpasst noch das Frühstück. Raus aus den Federn und zieh Dich an. Außerdem solltest Du Deine Bibel mitnehmen. Nach dem Essen ist Bibel- und Gebetsrunde.«
Der Gedanke an eine Gebetsrunde verdunkelte meine Stimmung. In einem engen Raum mit unzähligen Kindern und zwei Erwachsenen eingepfercht zu werden, nur um lustige Lieder und Gebete zu erleben, war nicht wirklich das, was mich als Erwachsener reizte. Allerdings wusste ich, dass ich in meiner Kindheit diese Kreise immer gerne besucht hatte.
Mir fiel schlagartig wieder ein, dass ich erneut ein Kind war. Dies hier war meine Kindheit, auch wenn ich mich nicht an diese Freizeit erinnern konnte, was wahrscheinlich ein Geschenk von Frühling darstellte. Anscheinend waren einige Erinnerung durcheinandergebracht worden.
Dann musste ich lächeln. Julia würde bei uns am Tisch sitzen. Ich hatte also erneut die Möglichkeit, mich bemerkbar zu machen.
Allerdings würde auch Anja da sein. Wer wusste schon, was die Dame über Nacht ausgeheckt hatte. Schließlich hatte sie mich aus meinem erwachsenen Körper zurück in meine Kindheit geschickt.
Mit einem gemischten Gefühl voller Vorfreude, Panik und Neugierde stand ich auf. Die Sachen, die ich am Vortag in Eile ausgepackt hatte, waren zu einem bunten Gewirr in meiner Truhe geworden. Die Farben waren sämtlich zu grell.
Eigentlich bevorzuge ich dunkle und dezente Farben.
Ich fischte einen roten Pulli hervor, der glücklicherweise ohne christliche Botschaft auskam und streifte ihn über. Die Jeans von gestern lag noch in einer Ecke und innerhalb von wenigen Minuten hatte ich mich angezogen.
Daniel und Jörg standen in der Tür und winkten mir. Ich drehte mich zu Boris, der seinen schwarzen Pulli gerade überstreifte.
»Die Jungs machen tierisch viel Stress. Es geht doch nur um ein Frühstück.«
Daniel lachte aufgeregt. »Es ist die erste Stärkung des Tages. Nach dem Brei gestern habe ich richtig Hunger bekommen.«
»Für Deinen sportlichen Körper brauchst Du wahrscheinlich jede Kalorie, die Du kriegen kannst.«
Boris sah etwas zerknautscht aus. Sein Haar ragte an einer Seite zu weit von seinem Kopf ab. Er sah aus, als wäre dort oben ein Meteoroid eingeschlagen.
Ich reichte ihm eine Bürste und einen Spiegel. Er stellte sich an den Spülstein und feuchtete die Bürste etwas an.
Daniel sagte: »Wenn es euch nichts ausmacht, werden wir schon einmal vorgehen. Heiko ist auch schon oben. Er hat uns noch nicht einmal wach gemacht.«
Ich nickte ihnen zu und drehte mich zu Boris. »Hast Du gut geschlafen?«
»Du machst Scherze. Die Matratzen hier sind hart wie Baumstämme. Ich hätte auch gleich auf dem Boden schlafen können.«
