Ilona kam zurück. Ihre Mundwinkel reichten fast an ihr Kinn. Dabei ließ sie die Augenlider sowie die Schultern hängen. Sie wirkte auf mich wie ein Hund, der die Latschen seines Besitzers zerfetzt und sich danach am Lieblings-Bonsai vergangen hatte.
Der Graf schaute nur kurz über die Schulter und sagte dann: »Du hast ihn nicht gefunden?«
Sie schüttelte den Kopf. Obwohl der Graf sie nicht sehen konnte, wusste er ihre Antwort. »Wie kann man nur so unzuverlässig sein? Es war eine klare und einfache Aufgabe und Du hast sie verpatzt.«
»Er versteckt sich hier irgendwo, da bin ich mir sicher.«
Kopfschüttelnd sagte der Graf: »Wir werden ihn schon finden. Du kannst hierbleiben. Ich fange jetzt mit dem Ritual an.«
»Benötigen wir nicht seinen Samen?«
»Wir haben genug und das muss reichen.«
Er ergriff den Lederbeutel, öffnete ihn und streute den Inhalt in die Schale. Danach holte er eine Phiole aus der Tasche seines Umhangs, öffnete sie ebenfalls und goss den Inhalt zu den anderen Sachen.
Aus einem kleinen Fläschchen goss er noch ein Pulver dazu und erhob die Kerze.
Während er unverständliche Laute von sich gab und die Kerze mehrfach um das Gefäß führte, brannte diese Kerze immer größer, bis sie fast so groß wie seine Hände war.
Das Geschehen war sehr beeindruckend, musste allerdings durch eine chemische Reaktion ausgelöst worden sein. Magie und Alchemie war das Handwerk von Dilettanten und Scharlatanen. Waren sie gut ausgebildet, kannten sie Tricks, mit denen sie willenlose und naive Dorftrotteln täuschen konnten.
Der Graf hielt die Fackel an die Schale und deren Inhalte verbrannte in eine blauen, stechend riechenden Flamme. Der Rauch verteilte sich in alle Richtungen und raubte mir kurzfristig den Atem. Tränen füllten meine Augen und ich musste sie wegwischen.
Das Murmeln wurde lauter.
Als ich wieder etwas sehen konnte, hatten sich die Züge des Grafen verändert. Es war, als würde ich in einen Spiegel blicken. Vor dem Tisch stand mein Ebenbild und lächelte kalt, was die Täuschung weniger echt erscheinen ließ. Ich glaube nicht, dass ich so lächeln konnte.
Ilona sagte: »Es geht also auch tatsächlich ohne Samen?«
Der Graf zuckte mit den Achseln und sagte: »Es wäre leichter gewesen – anscheinend geht es so allerdings auch ohne.«

Von SackingBob74

1974 in Dorsten geboren, entdeckte man früh das fehlende sportliche Talent des Autors. Über Jahre erlernte er mühsam das Lesen und Schreiben, wobei er mit dem Letzteren immer seine Probleme hatte. Die Lehrer bescheinigten ihm ein hohes Maß an Fantasie und Flexibilität in der Rechtschreibung. Aus den oberen Gründen stand ihm lediglich der Zweig der Naturwissenschaften offen. Sein Werdegang wurde 2008 an Halloween mit einer Promotion in Chemie belohnt. Sein erstes Buch »Niedermolekulare Co-Kristallisation« erwies sich als Ladenhüter (Essener Uni-Bibliothek, wird wahrscheinlich z.Z. im unzugänglichen Keller aufbewahrt). Um eine breitere Öffentlichkeit zu erreichen, beschloss der Autor, das Genre zu wechseln. Seit ein paar Jahren veröffentlicht er in seinem Blog >SackingBob74.de< Geschichten über sich und die personalisierten Jahreszeiten. Er lebt mit seiner Familie in Gladbeck.