Eine kleine, offenstehende Milchglastür auf der obersten Etage führte, laut einer Aufschrift, zum Dach. Als ich durch die Öffnung stürzte, hatte ich fast sämtliche Luftreserven in mir aufgebraucht. Mein Brustkorb schmerzte und ich sah Sterne vor den Augen.
Hier draußen war ein kleiner Balkon. Eine Feuerleiter führte weiter nach oben. Am Geländer lehnte Winter und sah konzentriert auf die Wand des gegenüberliegenden Gebäudes. Sie sagte: »Das ist eine neue Bestzeit. Ganze 2 Minuten für fünf Etagen. In der Zeit hätte ich einen Rollstuhl hoch und runter fahren können. Wenn Du noch fitter wirst, erreichst Du bald vielleicht die ungeheuere Geschwindigkeit eines Faultiers.«
Ihre Kommentare ignorierend sagte ich: »Wo ist die Blondine?«
»Sie klebt da drüben an der Fassade und klettert die Regenrinne hinauf.«
»Damit steht wohl fest, dass sie ziemlich leicht ist. Würde ich mich daran festhalten, würde das Ding sicherlich nachgeben.«
»Wahrscheinlich würdest Du die gesamte Fassade abreißen. Diese Mauern sind nicht für Elefanten errichtet worden.«
»Könntest Du bitte aufhören, mich zu beleidigen, und die Blondine verfolgen?«
»Ich wüsste nicht wie. Wenn ich auch springen würde, wäre die Belastung für die Rinne wahrscheinlich zu groß.«
»Wie wäre es, wenn Du einfach als Nebel hinüber schwebst? Das würde die Dame sicherlich aus dem Konzept bringen.«
Winter blickte mich an, als hätte ich gerade vorgeschlagen, die Antarktis mit einem Löffel abzutragen. Sie nickte kurz in die Luft und ich bemerkte den Wind, der uns umgab. Mit einem Kopfschütteln tat sie meinen Kommentar ab.
»Hast Du sonst keine Tricks, die in solchen Situationen hilfreich sein könnten?«
»Mir fällt im Moment nichts ein.«
»Wir sollten möglichst schnell auf das andere Dach kommen.«
»Wir könnten die Treppe nehmen …«
Mit einer schnellen Drehung und ein paar Schritten war ich im Treppenhaus. Immer ein paar Stufen gleichzeitig nehmend, war ich zumindest schneller als ich hochgerannt war. Ich hörte noch, wie Winter mir etwas hinterherschrie, doch ich konnte sie nicht mehr hören. Wahrscheinlich wollte sie mir einen Tipp geben. Sie würde sich unten wiederholen müssen.
Als ich die Haustür aufriss, stand Winter davor. Ich blickte sie groß an und sagte: »Wie bist Du denn so schnell nach unten gekommen?«
»Das ist doch offensichtlich. Wenn einem ein Sturz nicht umbringen kann, dann nimmt man ihn in Kauf.«
»Aber das tut doch weh.«
»Daran gewöhnt man sich. Ich wollte Dir nur sagen, dass der Lärm den Du im Treppenhaus veranstaltet hast, mich stark an ein Nilpferd erinnert, welches man in ein kleines Badezimmer eingeschlossen hat.«
»Hast Du darin Erfahrung?«
Winter blickte nach oben und sagte: »Man macht so einiges, wenn einem langweilig ist – und mit unendlich Zeit zur Verfügung wird einem schnell langweilig.«

Von SackingBob74

1974 in Dorsten geboren, entdeckte man früh das fehlende sportliche Talent des Autors. Über Jahre erlernte er mühsam das Lesen und Schreiben, wobei er mit dem Letzteren immer seine Probleme hatte. Die Lehrer bescheinigten ihm ein hohes Maß an Fantasie und Flexibilität in der Rechtschreibung. Aus den oberen Gründen stand ihm lediglich der Zweig der Naturwissenschaften offen. Sein Werdegang wurde 2008 an Halloween mit einer Promotion in Chemie belohnt. Sein erstes Buch »Niedermolekulare Co-Kristallisation« erwies sich als Ladenhüter (Essener Uni-Bibliothek, wird wahrscheinlich z.Z. im unzugänglichen Keller aufbewahrt). Um eine breitere Öffentlichkeit zu erreichen, beschloss der Autor, das Genre zu wechseln. Seit ein paar Jahren veröffentlicht er in seinem Blog >SackingBob74.de< Geschichten über sich und die personalisierten Jahreszeiten. Er lebt mit seiner Familie in Gladbeck.

4 Gedanken zu „Mittel zum Erfolg“
    1. Ach würde Dich sowas nicht interessieren? Hab mal von jemand gelesen, der ein Pferd in die Küche gebracht hat, nur um zu erfahren, wie das ist. 😉

        1. Ja klar, besonders wenn man sie nachts auf der Herrentoilette weckt. Das kostet mehr Leuten das Leben, als Haie die man in der Kanalisation ausgesetzt hat.

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