Auf einem Weihnachtsmarkt prostete ich Herbst zu. Er hatte seine Trauermiene aufgesetzt und sagte: »Du hättest mir ruhig etwas früher sagen können, dass Du die Stürme von Sommer bekommen hast.«
Ich sagte: »Fand es nicht angebracht, dass Du sofort die Sau rauslässt. So hatte ich wenigstens einen entspannten Herbst und musste mich nicht darum sorgen, dass mein Auto von einem hinabstürzenden Baum zerquetscht wird.«
Mit den Händen die Tasse umklammert, sagte Herbst: »Irgendwie komisch, Dich wieder zu verlassen. Ich hab das Gefühl, dass wir dieses Jahr gar nicht so viel erlebt haben.«
Ich schüttelte den Kopf und sagte: »Ach weißt Du, mir hat es gereicht und es war auf jeden Fall ereignisreicher als letztes Jahr. Schließlich waren wir unfreiwillig Beta-Tester eines Spiels, haben einen Mörder überführt und haben ein System abgeschaltet, was für den Tod von mindestens 10 Menschen zuständig war. Ich für meinen Teil brauche jetzt erst einmal eine Pause.«
»Das ging mir irgendwie zu einfach. Ich hatte fast schon das Gefühl, als wäre das System von innen abgeschaltet worden. Kannst Du Dich noch an diesen komischen Beitrag auf Facebook erinnern? Er passte gar nicht in das Konzept.«
Ich nickte nachdenklich und sagte: »Du hast schon recht, es bleiben ziemlich viele Fragen offen. Kannst Du Dich noch an den Anruf von Ali erinnern? Er war überzeugt davon, dass ihn eine Regierungsorganisation ausspioniert hätte.«
»Er leidet an Verfolgungswahn. Mehr ist da nicht. Außerdem – wer würde sich für uns ausgeben und eine Schauspielerin in den Hintergrund stellen? Das ist doch viel zu abgehoben.«
»Vielleicht hast Du recht. Ich bezweifle jedoch, dass er sich die Sache nur eingebildet hat. Die Spur haben wir nicht mehr aufnehmen können.«
»Er sagte, dass es aus diesem Computer-Programm kam, in dem wir gefangen waren.«
»Und wenn die Leute dort Kopien von uns waren?«
»Jetzt spinnst Du total. Dabei wirfst Du mir immer vor, dass ich Verschwörungstheorien in die Welt setze, die weder Hand noch Fuß haben.«
Ich nahm einen kräftigen Schluck aus der Tasse. Vielleicht hatte er recht. Die Geschichte war wirklich etwas unglaubwürdig und konfus. Was hätten unsere Kopien schon großartig anstellen sollen? Die Idee, dass es zwei Herbst auf diesem Planeten gab, jagte mir einen Schauer über den Rücken.
Ich sagte: »Auf jeden Fall ist es schade, dass Du schon wieder gehen musst.«
Sehr traurig sagte er: »Deine Leser freuen sich bestimmt schon auf Winter.«
Nickend sagte ich: »Das mag sein. Einige haben mir ja sogar ein Verhältnis mit ihr angedichtet. Sie ist immer so anstrengend.«
Unvermittelt erhob Herbst die Hand und sagte: »Wir sehen uns im nächsten Jahr.«
Dann verschwand er in der umherschweifenden Menge. Ich rief ihm hinter her: »Du musst noch Deine Tasse abgeben, da ist Pfand drauf.«, doch er hörte mich schon nicht mehr.

Von SackingBob74

1974 in Dorsten geboren, entdeckte man früh das fehlende sportliche Talent des Autors. Über Jahre erlernte er mühsam das Lesen und Schreiben, wobei er mit dem Letzteren immer seine Probleme hatte. Die Lehrer bescheinigten ihm ein hohes Maß an Fantasie und Flexibilität in der Rechtschreibung. Aus den oberen Gründen stand ihm lediglich der Zweig der Naturwissenschaften offen. Sein Werdegang wurde 2008 an Halloween mit einer Promotion in Chemie belohnt. Sein erstes Buch »Niedermolekulare Co-Kristallisation« erwies sich als Ladenhüter (Essener Uni-Bibliothek, wird wahrscheinlich z.Z. im unzugänglichen Keller aufbewahrt). Um eine breitere Öffentlichkeit zu erreichen, beschloss der Autor, das Genre zu wechseln. Seit ein paar Jahren veröffentlicht er in seinem Blog >SackingBob74.de< Geschichten über sich und die personalisierten Jahreszeiten. Er lebt mit seiner Familie in Gladbeck.