Sommer ging sehr langsam. Als er vorher mit Patricia gegangen war, brauchte er nur die Hälfte der Zeit.
Vor der Haustür blieb er stehen. Er wirkte unentschlossen. Dann blickte er um sich. Zunächst nach rechts, dann nach linke, dann drehte er sich einmal um die eigene Achse.
Erst nachdem er sich augenscheinlich unbeobachtet fühlte, verschwand er einfach vor der Haustür und tauchte im Inneren der Wohnung wieder auf. Der Schlüssel lag nahe der Tür. Dort hatte er ihn gestern Abend abgelegt.
Er blickte sich im Wohnzimmer um. Hier lagen Flaschen und ein überquellender Aschenbecher. Die Couch hatte ein paar Rotweinflecken abbekommen.
Im Flur hatte sich Sommer das Telefon gegriffen. Prüfend strich er über die Flecken der Couch, nur um zu sehen, ob sie trocken waren. Dann ließ er sich fallen.
Er legte das Telefon vor sich auf den Tisch und sah es unschlüssig an. Den Kopf in den Händen und die Ellbogen auf der Tischplatte, sah er das Ding vor sich an, als wolle er es hypnotisieren.
Es blitzte für einen Moment vor Entschlossenheit in seinem Augen und er griff nach dem Hörer. Kurz bevor seine Finger ihn greifen konnte, zuckte er allerdings zurück, als wäre er ein überhitztes Brennelement.
Die Minuten vergingen, ohne dass etwas passierte. Erneut griff Sommer nach dem Telefon. Diesmal gelangten seine Finger bis auf 5 cm an den Fremdkörper heran. Dann blieben sie in der Luft hängen.
Als sie gerade langsam zurückwichen, klingelte es. Sommer zuckte zusammen.
Diesmal griff er nach dem Hörer und sagte: »Hallo«
Eine vertraute, beißende Stimme sagte: »Hallo Bruderherz.«
Sommer ließ sein Gesicht in sich zusammenfallen. Er sagte: »Hallo Winter.«

Von SackingBob74

1974 in Dorsten geboren, entdeckte man früh das fehlende sportliche Talent des Autors. Über Jahre erlernte er mühsam das Lesen und Schreiben, wobei er mit dem Letzteren immer seine Probleme hatte. Die Lehrer bescheinigten ihm ein hohes Maß an Fantasie und Flexibilität in der Rechtschreibung. Aus den oberen Gründen stand ihm lediglich der Zweig der Naturwissenschaften offen. Sein Werdegang wurde 2008 an Halloween mit einer Promotion in Chemie belohnt. Sein erstes Buch »Niedermolekulare Co-Kristallisation« erwies sich als Ladenhüter (Essener Uni-Bibliothek, wird wahrscheinlich z.Z. im unzugänglichen Keller aufbewahrt). Um eine breitere Öffentlichkeit zu erreichen, beschloss der Autor, das Genre zu wechseln. Seit ein paar Jahren veröffentlicht er in seinem Blog >SackingBob74.de< Geschichten über sich und die personalisierten Jahreszeiten. Er lebt mit seiner Familie in Gladbeck.

2 Gedanken zu „Vor dem Telefon“

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