Winter hielt immer noch meine Hand, während sie sich umdrehte und mich mit sich zog. Sie sagte: »Wir sind ganz nah. Mutter ist hier gleich um die Ecke. Ich kann es fühlen.«
Ich schaute mich um. Wir standen auf breiten Ästen, die mit ihrem Blätterwerk einen Fußboden gebildet hatten. Durch ganz kleine Spalten konnte ich nach unten blicken.
Ich konnte die genaue Höhe nicht abschätzen, aber meine Sinne sagten mir, dass ich nicht noch einmal runterschauen sollte. Sonst hab ich eigentlich keine Probleme mit Höhenangst, aber das hier stellte alles andere in den Schatten.
Die Unsicherheit, dass ich jeder Zeit durch eine Lücke nach unter gelangen konnte, machte mir nicht unbedingt Mut.
Winter schien daran jedoch weniger Gedanken zu verschwenden. Sie hatte mich weiter an der Hand. Wie einen kleinen Schuljungen auf dem Weg zum Direktor, folgte ich ihr, bis wir an eine Tür kamen.
Ich sagte: »Das ist jetzt zu blöd. Wer baut denn bitte eine Tür in eine Baumkrone? Irgendwie scheine ich wohl weiter zu halluzinieren.«
Winter sagte: »Halt einfach die Klappe und bestaune Deine Umgebung in der Stille. Besonders solltest Du vor meiner Mutter den Mund halten.
Sie wird sowieso nicht so angetan davon sein, dass ich ihr einen Affen mitgebracht habe.«
Ich sagte: »Vielleicht kann ich für meine Art ja ein gutes Wort einlegen.«
Winter sagte: »Glaub mir, Du bist der beste Beleg dafür, dass es besser wäre, euch alle auszurotten. Wenn Du jetzt auch noch Deiner Zunge freie Bahn lässt, wird sie die Sache noch forcieren wollen.«
Ich sagte: »Dann halte ich die Klappe.«
Sie sagte: »Besser wäre das auf jeden Fall.«

Von SackingBob74

1974 in Dorsten geboren, entdeckte man früh das fehlende sportliche Talent des Autors. Über Jahre erlernte er mühsam das Lesen und Schreiben, wobei er mit dem Letzteren immer seine Probleme hatte. Die Lehrer bescheinigten ihm ein hohes Maß an Fantasie und Flexibilität in der Rechtschreibung. Aus den oberen Gründen stand ihm lediglich der Zweig der Naturwissenschaften offen. Sein Werdegang wurde 2008 an Halloween mit einer Promotion in Chemie belohnt. Sein erstes Buch »Niedermolekulare Co-Kristallisation« erwies sich als Ladenhüter (Essener Uni-Bibliothek, wird wahrscheinlich z.Z. im unzugänglichen Keller aufbewahrt). Um eine breitere Öffentlichkeit zu erreichen, beschloss der Autor, das Genre zu wechseln. Seit ein paar Jahren veröffentlicht er in seinem Blog >SackingBob74.de< Geschichten über sich und die personalisierten Jahreszeiten. Er lebt mit seiner Familie in Gladbeck.

2 Gedanken zu „Eine Tür, wo sie nicht sein sollte“
    1. Ich gebe zu, dass ich mit meiner Vorarbeit mehr Probleme mit Frühling habe, als mir lieb ist. 😉 mit den Texten bin ich schon im April und sie will einfach nicht so, wie ich…

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