Ich musste nur kurz eingenickt sein. 
Eigentlich erinnerte ich mich nicht daran, geschlafen zu haben, aber als ich aufsah, legte Winter auf dem Tisch vor sich eine Séance mit ihren Kredit- und Bonuskarten.
Als ich hochfuhr, blickte sie mich erneut über den Rahmen ihrer Brille an. In diesem Blick lag etwas Fixierendes, als hätte sie mich gerade gereinigt, sterilisiert und in ein Briefmarkenalbum geklebt.
Sie sagte: »Diese ganzen verdammten Karten, die man bekommt, sind doch das Letzte.«
Ich sagte: »Es scheint, als würdest du in ihnen die Zukunft lesen.«
Sie lachten ohne Humor in der Stimme auf, so als wollte sie mir zeigen, wie unlustig sie die Bemerkung fand. Dann wandte sie sich wieder ihren Karten zu.
Sie sagte: »Betreffend der Karten, kann ich nur sagen, dass Dein Budget überschritten ist und der einzige Hoffnungsschimmer für mich, Dein Tod sein wird.«
Ich sagte: »Wann der eintritt, kannst Du mir aber nicht sagen?«
Sie sagte: »Würdest Du das wirklich wissen wollen?«
Ich sagte: »Eigentlich nicht. Es gibt da ja genügend Witze – wie der, mit dem Typen, bei dem man den Todestag des Vaters vorhersagte.«
Winter nickte, blickte erneut auf die Karten und sagte: »Dann macht sich der Vater einen höllischen Tag und kommt am Abend scheißgebadet nach Hause. Auf der Türschwelle ruft er seiner Frau entgegen, dass das sein blödester Tag gewesen wäre und seine Frau sagt nur…«
Ich unterbrach Winter und sagte: »Wenn Du doch den Witz kennst, dann hätte ein simples Nicken genügt.«
Ohne aufzublicken sagte sie: »Ich konnte es mir einfach nicht verkneifen.«
Ich sagte: »Willst Du ihn dann zu Ende erzählen?«
Sie sagte: »Jetzt hab ich auch keine Lust mehr. Außerdem kenne wir ja beide das Ende.«

Von SackingBob74

1974 in Dorsten geboren, entdeckte man früh das fehlende sportliche Talent des Autors. Über Jahre erlernte er mühsam das Lesen und Schreiben, wobei er mit dem Letzteren immer seine Probleme hatte. Die Lehrer bescheinigten ihm ein hohes Maß an Fantasie und Flexibilität in der Rechtschreibung. Aus den oberen Gründen stand ihm lediglich der Zweig der Naturwissenschaften offen. Sein Werdegang wurde 2008 an Halloween mit einer Promotion in Chemie belohnt. Sein erstes Buch »Niedermolekulare Co-Kristallisation« erwies sich als Ladenhüter (Essener Uni-Bibliothek, wird wahrscheinlich z.Z. im unzugänglichen Keller aufbewahrt). Um eine breitere Öffentlichkeit zu erreichen, beschloss der Autor, das Genre zu wechseln. Seit ein paar Jahren veröffentlicht er in seinem Blog >SackingBob74.de< Geschichten über sich und die personalisierten Jahreszeiten. Er lebt mit seiner Familie in Gladbeck.

11 Gedanken zu „Modernes Kartenlegen“
    1. Die Mutter antwortet: „Was soll das heißen, Du hattest einen scheiß Tag? Meiner war richtig scheiße. Stell Dir vor, heute morgen ist unser alter Postbote tot auf der Fußmatte umgefallen!“

  1. Servus Bob, ich habe ein paar Fragen an dich. Wenn du Zeit hast schau doch mal bei mir vorbei. Ich habe dich nominiert. Falls du Bock auf solche Spielchen hast und es überhaupt in dein Blog-Format passt…

    1. Passt auf jeden, allerdings wirst Du sehen, dass wir gerade ne Runde hinter uns haben und Winter keine Lust mehr hat. Sie ist noch völlig gerädert von dieser Woche. 11 Fragen beantworten und stellen hat sie fertig gemacht. Ich warte auf Frühling. Die wird das Spiel gerne mitspielen.
      PS: kann es sein, dass einer von meinen und Winters Nominierten Dich nominiert hat? 😉

        1. Ich bin diese Woche noch nicht einmal dazu gekommen, regelmäßig in den Blogs zu lesen, denen ich folge. Der Liebster-Award hat fast alle blockiert!
          Kann Dich also verstehen…

          1. Winter bietet mir einfach zu viele Vorteile, um auf sie zu verzichten. Sie ist ein Troll, der sagen kann, was ich mich nicht traue. Außerdem, warum sollte ich „aus der Rolle fallen“?
            Um es anders auszudrücken:
            Schizophren ist voll Ok!
            Solange wir nur Vorteile seh’n.
            Mir geht’s gut und ihr gleich auch,
            Solange ich niemand andren brauch.
            Alleine bin ich niemals mehr,
            Mal bin ich nichts, mal bin ich wer.
            Kritiken nimmt die Andre an,
            sie antwortet, wenn ich nicht kann.

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