Winter erschien mir, während ich in der Küche stand. Mit den Fingern trommelte sie auf dem Türrahmen. Sie sagte: »Was machst Du da?«
Ich sagte: »Ist das nicht offensichtlich?« 
Winter schüttelte den Kopf und sagte: »Das sieht so unkoordiniert aus. Als würdest Du improvisieren.« 
Ich sagte: »In der Küche improvisiere ich gerne. Wenn ich nach Kochbuch kochen wollte, hätte ich auch weiter im Labor Chemikalien herstellen können.«
Mit ein paar Schritten stand sie hinter mir und sah in den Kochtopf.
Ich sagte: »Wenn Du Dich noch ein paar Minuten geduldest, bin ich fertig und Du kannst probieren.«
Winter schüttelte den Kopf und sagte: »Einem Chemiker sollte man nie trauen. Wahrscheinlich ist es giftig.«
Ich sagte: »Es wäre zumindest nett, wenn Du mich in der Küche in Frieden lassen würdest. Du kannst gerne alle Leute fragen, die mit mir in einer Küche oder in einem Labor standen – ich hasse es, wenn ich beim Kochen nicht alleine sein kann.«
Sie sagte: »Scheint Dein eigenes Reich zu sein.«
Ich sagte: »Solange ich koche ist es mein Reich. Danach fragt mich meine Frau allerdings immer, was ich mit ihrer Küche gemacht habe.«
Winter sagte: »Wenn Du immer anders kochst, dann gibt es ja gar kein Standard-Gericht.«
Ich zuckte mit den Achseln und sagte: »Ist Normal nicht irrsinnig langweilig?«
Winter sagte: »Wenn man außergewöhnlich ist, dann ist ’normal‘ erstrebenswert. Für alle Normale ist es die Hölle.«
Ich lachte auf und sagte: »Normal ist 66!«
Sie sagte: »Wie meinst Du das?«
Ich sagte: »Per Definition ist etwas normal, was zweidrittel aller Einwohner machen. Wenn zweidrittel aller Menschen in Deutschland nach allen drei Schritten einen zurück machen würden, dann wäre diese Gangart für Deutsche ›Normal‹. Prozentual entsprechen zweidrittel 66 Komma Periode 6. Abgerundet ist ’normal‘ = 66. Nach dieser Definition ist es allerdings weder normal ein Mann zu sein, noch eine Frau. Beide Bevölkerungsgruppen kommen nur auf ca. 50%.«
Winter nickte und sagte: »Du kannst Dir gar nicht vorstellen, wie froh ich bin, Dich in einem Tag los zu werden.«
Dann war sie verschwunden.
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Noch mal zur Erinnerung: Frühlingsanfang ist am 21.03.. Ab dann folgt ein typischer Frühlings-Krimi.

Von SackingBob74

1974 in Dorsten geboren, entdeckte man früh das fehlende sportliche Talent des Autors. Über Jahre erlernte er mühsam das Lesen und Schreiben, wobei er mit dem Letzteren immer seine Probleme hatte. Die Lehrer bescheinigten ihm ein hohes Maß an Fantasie und Flexibilität in der Rechtschreibung. Aus den oberen Gründen stand ihm lediglich der Zweig der Naturwissenschaften offen. Sein Werdegang wurde 2008 an Halloween mit einer Promotion in Chemie belohnt. Sein erstes Buch »Niedermolekulare Co-Kristallisation« erwies sich als Ladenhüter (Essener Uni-Bibliothek, wird wahrscheinlich z.Z. im unzugänglichen Keller aufbewahrt). Um eine breitere Öffentlichkeit zu erreichen, beschloss der Autor, das Genre zu wechseln. Seit ein paar Jahren veröffentlicht er in seinem Blog >SackingBob74.de< Geschichten über sich und die personalisierten Jahreszeiten. Er lebt mit seiner Familie in Gladbeck.

7 Gedanken zu „Normal ist 66“
  1. Astronomisch wird der Frühlingsanfang durch das Äquinoktium festgelegt. Dieser Zeitpunkt variiert und fällt, abhängig unter anderem vom Abstand zum letzten Schaltjahr, auf der Nordhalbkugel auf den 20. oder 21., selten auch auf den 19. März. Dieser Text wurde von http://www.kleiner-kalender.de entnommen.

    Nur mal so nebenbei bemerkt * duck und weg*

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