Beim Tischdienst, bei dem ich diesmal trotz der Regel mithalf, fragte ich Boris, warum ihn die Leute in den schwarzen Anzügen nicht erkannt hatten.
»Wenn man mit der Zeit spielt, hat man verschiedene Möglichkeiten. Man kann sich z.B. jünger und älter machen, ganz nachdem wie man wirken möchte.«, sagte er.
»Das heißt, dass Du eigentlich nicht wie ein Zwölfjähriger aussiehst?«
»Ich bin schon etwas älter. Ich hatte gedacht, dass ich so nicht auffalle.«
Die Antwort erschien mir plausibel.
»Die Männer in Schwarz suchen also einen Erwachsenen und erwarten nicht, Dich hier als Kind vorzufinden?«
»Sie wissen, dass ich mich verändern kann. Sie kennen mich nicht als Kind. Allerdings ist das nur eine Frage der Zeit, bis sie ihren Irrtum einsehen..«
Anja kam auf uns zu und schüttelte den Kopf. »Er hatte den Schlüssel nicht in seiner Jacke.«
Boris blickte sie irritiert an. »Wo hat er bloß das Mistding?«
»Heiko sagte, dass Herr Berkowitz uns noch einen Strich durch unsere Rechnung machen kann. Er wird nicht begeistert davon sein, dass wir mit Siegfried heute Nacht den Steinbruch erkunden und nach Geistern suchen.«
»Ich glaube nicht, dass Siegfried sich vor ihm rechtfertigen muss.«
Mein Onkel kam in die Küche und sah uns an.
»Eigentlich solltet ihr doch getrennt arbeiten? Aber keine Angst, ich werde euch nicht verraten. Ich wollte nur mit meinem Neffen reden.«
Er kam näher und stellte sich neben das Waschbecken. Zu meinem Erstaunen griff er sich ein Trockentuch und half mit.
»Ich habe mit Siegfried geredet und von eurem Plan erfahren, heute Abend den Steinbruch zu erkunden. Ich werde euch natürlich begleiten. Soweit ich es sehe, wird Wilhelm gar nicht begeistert von der Sache sein.«
»Darüber haben wir gerade geredet.«
»Keine Angst, wenn ich euch begleite, wird Wilhelm nichts dagegen haben. Ich glaube allerdings nicht, dass er uns begleiten wird.«
Boris hatte mit der Reinigung der Teller aufgehört. Er blickte meinen Onkel an.
»Herr Berkowitz hat mir meinen Schmuck abgenommen. Ich würde ihn gerne wiederhaben.«
»Was ist das für ein Schmuck?«
Schnell sprang ich ein: »Es ist ein Talisman, der vor bösen Geistern schützt. Ich weiß, dass Du nichts von Aberglauben hältst, allerdings ist Boris so erzogen worden. Es fällt ihm schwer, diese Ansicht abzulegen. Wenn wir heute Abend zum Steinbruch gehen, wird er sich ohne ihn nackt vorkommen.«
Anja nickte. »Er ist ein absoluter Angsthase. Wenn er sich nicht an seinem blödsinnigen Schmuck festhält, werde ich ihn wohl tragen müssen.«
Mein Onkel erhob eine Augenbraue. Er sah mich an. »Du weißt recht gut, was ich von Talismanen und Amuletten halte. Sie sind Zeichen des Teufels.«
»Ich weiß, dass es Blödsinn ist. Aber mir wurde das so beigebracht. Mich auf die Spur nach einem Geist zu machen, ohne meinen Schutz, wäre so wie im Winter ohne Hemd und Hose im Schnee zu spielen.«
Nachdenklich nickte mein Onkel. »Ich werde bei Wilhelm ein gutes Wort für Dich anbringen. Versprechen kann ich allerdings nichts.«

Von SackingBob74

1974 in Dorsten geboren, entdeckte man früh das fehlende sportliche Talent des Autors. Über Jahre erlernte er mühsam das Lesen und Schreiben, wobei er mit dem Letzteren immer seine Probleme hatte. Die Lehrer bescheinigten ihm ein hohes Maß an Fantasie und Flexibilität in der Rechtschreibung. Aus den oberen Gründen stand ihm lediglich der Zweig der Naturwissenschaften offen. Sein Werdegang wurde 2008 an Halloween mit einer Promotion in Chemie belohnt. Sein erstes Buch »Niedermolekulare Co-Kristallisation« erwies sich als Ladenhüter (Essener Uni-Bibliothek, wird wahrscheinlich z.Z. im unzugänglichen Keller aufbewahrt). Um eine breitere Öffentlichkeit zu erreichen, beschloss der Autor, das Genre zu wechseln. Seit ein paar Jahren veröffentlicht er in seinem Blog >SackingBob74.de< Geschichten über sich und die personalisierten Jahreszeiten. Er lebt mit seiner Familie in Gladbeck.