Ein wenig später stand ich vor der verschlossenen Haustür auf der Straße. Erst jetzt wurde mir bewusst, dass ich keinen Schlüssel hatte. In der Eile hatte ich die wichtigsten Details verdrängt.
Da ich das kleine Wunder mit den Schlüssel schon vom Bus, den mir Sommer geschenkt hatte, kannte, dachte ich an die Schlüssel zu meiner Wohnung – bis ich mich daran erinnerte, dass ich sie bei der Polizei abgegeben hatte.
Auf keinem Namensschild entdeckte ich Winter. Ihre Wohnung war in der dritten Etage, also suchte ich in der dritten Reihe von unten. Diese Namen kamen mir unvertraut vor. Allerdings hatte einer der Klingelknöpfe gar kein Namensschild. Vielleicht war Winter zu faul gewesen, ihren Namen anzubringen. Sie würde sowieso keinen Besuch erwarten.
Ich klingelte und wartete. Es dauerte eine Weile, bis der Öffnungsmechanismus brummte und ich die Tür aufstieß. Vielleicht war Winter doch zu Hause.
Schnell nahm ich die Stufen nach oben.
Im richtigen Stockwerk schaute ein Penner aus einer der falschen Türen. Er hatte leider noch nicht einmal eine Jogginghose angestreift, sondern wartete in Feinripp-Unterwäsche auf mich. Die BHs in der Damenbekleidungsabteilung waren mir merklich lieber gewesen.
Der Herr war unrasiert – leider weder im Gesicht noch unter den Achseln, was dazu führte, dass stinkendes Akkupatz-artiges Gewächs aus exponierten Stellen aus seinem Unterhemd quoll. Natürlich wies das Unterhemd merkwürdige braune Flecken auf.
Erschrocken sagte ich: »Eigentlich wollte ich zu meiner Freundin. Sie wohnt neben ihnen.«
Der Fette stieß eine abschätzig gemeinte Fontäne aus der Nase. Dann streckte er die Oberlippe heraus und sagte: »Da haben sie sich aber eine nette Partnerin angelacht. Sie ist sich sogar zu fein, mich zu begrüßen.«
Dann fügte er hinzu: »Hat die Dame keine eigene Klingel?«
»Erst einmal ist sie nicht meine Partnerin, sonder nur eine Freundin. Zweitens wird sie ihre Gründe haben, sie zu ignorieren. Abschließend ist noch zu erwähnen, dass ich ihren Nachnamen nicht kenne. Sie wohnt eine Tür neben ihrer.«
Der Fette schnalzte mit der Zunge und sagte dann: »Wenn die Dame nicht da ist, will ich sie nicht im Flur lungern sehen.«
»Ich muss erst einmal versuchen, ob sie da ist. Sollte sie nicht anwesend sein, werde ich wieder verschwinden. Das verspreche ich ihnen.«
Der Mann nickte, drehte sich um und knallte seine Tür ins Schloss.

Von SackingBob74

1974 in Dorsten geboren, entdeckte man früh das fehlende sportliche Talent des Autors. Über Jahre erlernte er mühsam das Lesen und Schreiben, wobei er mit dem Letzteren immer seine Probleme hatte. Die Lehrer bescheinigten ihm ein hohes Maß an Fantasie und Flexibilität in der Rechtschreibung. Aus den oberen Gründen stand ihm lediglich der Zweig der Naturwissenschaften offen. Sein Werdegang wurde 2008 an Halloween mit einer Promotion in Chemie belohnt. Sein erstes Buch »Niedermolekulare Co-Kristallisation« erwies sich als Ladenhüter (Essener Uni-Bibliothek, wird wahrscheinlich z.Z. im unzugänglichen Keller aufbewahrt). Um eine breitere Öffentlichkeit zu erreichen, beschloss der Autor, das Genre zu wechseln. Seit ein paar Jahren veröffentlicht er in seinem Blog >SackingBob74.de< Geschichten über sich und die personalisierten Jahreszeiten. Er lebt mit seiner Familie in Gladbeck.

Ein Gedanke zu „Macht auf die Tür“

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