»Was machen wir jetzt?«. Ich sah Anja fragend an.
Sie zuckte mit den Schultern.
»Wir gehen zurück und tun so, als wäre nichts passiert.«
»Klingt nach einem Plan.«
Anja ließ den Goldbarren im Gang liegen, allerdings nicht ohne ihn noch einmal gestreichelt zu haben. Er lag jetzt direkt am Eingang.
Zum Schließen der Tür benötigten wir zum zweiten Mal alle Kraft die wir aufbringen konnten. Beim nächsten Besuch sollten wir Öl mitbringen oder jemand stärkeren. Zum Schluss schloss Anja die Tür vorsichtig ab. Sie reichte mir lächelnd den Schlüssel. Irgendwie wirkte sie zufrieden mit dem was wir erreicht hatten.
Ich legte mir die Kette um den Hals. Der Anhänger ruhte auf meiner Brust, unter meinem T-Shirt. Jetzt mussten wir unsere Entdeckung nur noch Boris erzählen. Als ich an ihn dachte, erinnerte mich das an seine erfolglose Reise heute Morgen. Ein brennendes Schuldgefühl machte sich in mir breit. Ich erinnerte mich an den Feldweg, von dem er mir erzählt hatte. Den wählten wir für unsere Rückreise. Obwohl Boris beteuert hatte, dass diese Schneise frei war, mussten wir über etliche Wurzeln und umgestürzte Bäume klettern. Komfortabel ist anders. Allerdings hatte er recht, was den Umweg anging.
Das Blätterdach über unseren Köpfen war so dicht, dass es unseren Pfad in ein unheimliches Zwielicht tauchte. Ich hatte sämtliches Gespür für die Zeit verloren. Der Pfad schlängelte sich immer wieder, wie eine Schlange unter Strom. Mir kam die Umgebung so eintönig vertraut vor, dass ich mich fragte, ob wir nicht im Kreis gehen würden.  Anja trieb mich an.
»Wir müssen noch vor dem Abendessen zurück sein. Wir bekommen sonst reichlich Stress.«
»Und einen leeren Magen.«
Ich wusste nicht mehr genau, wo wir waren. Wir brauchten eine Ewigkeit, für einen Weg der sonst höchstens 10 min dauerte.
Anja sprang vor mir über eine Wurzel und ich versuchte, es ihr nachzumachen. Sportlich, wie ich leider nicht bin, wollte ich, leicht am Baum abstützen und mit Elan, über die Wurzel springen. Dabei bemerkte ich zu spät, dass mein rechter Fuß zu tief war.
Ich schlug mit voller Wucht auf den Waldboden auf. Ein Stein grub sich in meine rechte Hand, mit der ich den Sturz abbremsen wollte. Als ich mich wieder aufrichtete, sah ich, dass die Hand blutete.
Anja war zurückgekommen. »Du bist so unsportlich, wie ein Stück Holz auf Rollschuhen.«
Ich erhob meine Hand. »Ich hab mich verletzt.«
»Heul doch.«
Die Wunde umklammert sagte ich: »Wir müssen die anderen finden.«
»Da drüben scheint ein größerer Weg zu sein. Vielleicht finden wir dort jemanden.«
Tatsächlich wurden wir zuerst gefunden. Eine Gruppe unter Leitung von Herrn Berkowitz kam auf uns zu.
Als er uns sah, schüttelte er den Kopf.
»Ich hatte die Regeln ziemlich klar formuliert. Die Verstecke sollten in der Nähe der großen Lichtung liegen. Außerdem solltet ihr euch nicht zusammen verstecken.«
»Wenn wir uns da versteckt hätten, wären wir schon längst gefunden worden. Außerdem habe ich Sebi gefunden. Er hatte sich nicht so gut versteckt.«
Ich hielt die Hand hoch. »Ich habe mich verletzt.«
Mit wenigen eiligen Schritten stand Herr Berkowitz an meiner Seite. Er nahm meine Hand in die seine und betrachtete den Kratzer.
»Das ist weder tief noch schwer. Wir sollten es trotzdem auswaschen und desinfizieren. Wie ist das passiert?«
»Er wollte seine Männlichkeit durch einen eleganten Sprung beweisen und hat versagt.« Anja hatte die Arme vor der Brust verschränkt und den Mund hochgezogen.
»Eine Wurzel war im Weg.«, fügte ich kleinlaut hinzu.

Von SackingBob74

1974 in Dorsten geboren, entdeckte man früh das fehlende sportliche Talent des Autors. Über Jahre erlernte er mühsam das Lesen und Schreiben, wobei er mit dem Letzteren immer seine Probleme hatte. Die Lehrer bescheinigten ihm ein hohes Maß an Fantasie und Flexibilität in der Rechtschreibung. Aus den oberen Gründen stand ihm lediglich der Zweig der Naturwissenschaften offen. Sein Werdegang wurde 2008 an Halloween mit einer Promotion in Chemie belohnt. Sein erstes Buch »Niedermolekulare Co-Kristallisation« erwies sich als Ladenhüter (Essener Uni-Bibliothek, wird wahrscheinlich z.Z. im unzugänglichen Keller aufbewahrt). Um eine breitere Öffentlichkeit zu erreichen, beschloss der Autor, das Genre zu wechseln. Seit ein paar Jahren veröffentlicht er in seinem Blog >SackingBob74.de< Geschichten über sich und die personalisierten Jahreszeiten. Er lebt mit seiner Familie in Gladbeck.