Beim Mittagessen sah ich Boris und Anja erneut nur aus der Entfernung. Die kleine Dosis Sport am Vormittag hatte mir Energie geklaut. Die Nahrung vor mir wurde so schnell inhaliert, dass ich mich hinterher nicht einmal mehr daran erinnern konnte, was es überhaupt gab.
Als ich den Speisesaal verließ, steckte mir Boris den Schlüssel zu. Er sagte, da ich bisher die besten Ergebnisse mit dem Ding erzielt hatte, sollte ich als Erster mein Geschick beweisen. Zum Glück bekam Anja nichts davon mit. Sie war nach der Mahlzeit mit dem Abräumen beschäftigt.
Das Thema der Bibelarbeit vergaß ich. Ich war so sehr damit beschäftigt, den Schlüssel zusammenzusetzen.
Immer wieder fuhren Autos auf den Hof. Die Neuankömmlinge begrüßten sich und schwatzten lautstark, was meine Konzentration weiter störte.
Zwischen den vielen Familienkutschen fuhr auch eine Limousine vor. Das Ding sah edler aus, als die anderen PKWs.
Ich muss zugeben, dass ich nichts von Fahrzeugen im Allgemeinen verstehe. Dieses Modell war allerdings definitiv etwas Besonderes. Die Fenster waren abgedunkelt, die Farbe nachtschwarz. Der Luxusschlitten schien frisch gewaschen worden zu sein. Das Metall schluckte das Licht komplett. Nirgendwo waren Flecken oder Schmutz zu sehen. Das Ding sah wie ein bewegliches schwarzes Loch aus.
Es stiegen zwei schwarz gekleidete Männer aus. Sie trugen Anzüge mit Krawatten. Ihre Kleidung war genauso schwarz wie ihr Wagen. Beide hatten Sonnenbrillen auf.
Ich schaute zu Boris hinüber, der blass wirkte. Er hatte sich in die Ecke verkrochen und schirmte sein Gesicht mit der Bibel ab.
Schnell wendete ich mich zurück zu den Besuchern. Die Zwei Typen, die im Hof bei den Parkplätzen standen, wirkten krank. Ihre Gesichter waren bleich. Sie waren vielleicht 50 Jahre oder älter. Ihre Haare waren schneeweiß und sie hatten Falten um die Augen, soweit man das unter den Sonnenbrillen sehen konnte.
Der Eine klopfte sich seine Hose aus, während sich der Zweite eine Zigarette anzündete. Mir wurde schlagartig schlecht. Noch klischeehafter hätte man böse Absichten nicht darstellen können. Nur Übeltäter rauchen. Zumindest in der kleinen Enklave der Gemeinde und in James Bond Filmen. 
Herr Berkowitz sah nach draußen und rümpfte die Nase. Er gab Siegfried ein Zeichen. Dann verließ er den Raum mit großen Schritten. Kurz darauf tauchte er draußen auf.
Gegenüber den beiden Gästen, wirkte er winzig. Die beiden sahen zu ihm hinab, als wäre er ein Insekt. Seine Stimme, die sich allerdings während des Gespräches mehrfach überschlug, machte den Größenunterschied wett. Offensichtlich hatte er ein Problem mit der Zigarette des Mannes.
Ich konnte nicht genau hören, was er sagte, jedoch verriet seine Stimme, dass er nicht besonders wohlwollend mit den Besuchern umging. Seine Nasenflügel blähten sich auf. Ab und an wölbte sich sein Hals nach außen, wie die Wangen einer Kröte. Wäre er länger so geblieben, hätte die Gefahr bestanden, dass er explodierte.
Der eine Besucher erhob ganz kurz seine Brille. Unter ihr blickten zwei blassblaue Augen auf unseren Heimleiter.
Die Anzüge der drei Männer vor dem Fenster zeigten einen enormen Unterschied. Während die beiden Neuen ganz geschäftlich und förmlich wirkten, schien Herr Berkowitz eher deplatziert.
Der Größere der Weißhaarigen sprach zwei Sätze zu seinem Kollegen. Dann stiegen die sie in ihren Wagen und fuhren los.
Herr Berkowitz kam wenig später zurück. Er wirkte immer noch aufgebracht. Seine Augen wanderten zu Boris. Für eine Sekunde sah es so aus, als wollte er etwas sagen. Anstatt dem Drang nachzugeben, setzte er sich neben Siegfried.
Ich nickte in Boris Richtung, doch der sah mich nicht. Er hatte sich erneut hinter seiner Bibel versteckt und tat so als würde er darin lesen. Seine Hände zitterten leicht.

Von SackingBob74

1974 in Dorsten geboren, entdeckte man früh das fehlende sportliche Talent des Autors. Über Jahre erlernte er mühsam das Lesen und Schreiben, wobei er mit dem Letzteren immer seine Probleme hatte. Die Lehrer bescheinigten ihm ein hohes Maß an Fantasie und Flexibilität in der Rechtschreibung. Aus den oberen Gründen stand ihm lediglich der Zweig der Naturwissenschaften offen. Sein Werdegang wurde 2008 an Halloween mit einer Promotion in Chemie belohnt. Sein erstes Buch »Niedermolekulare Co-Kristallisation« erwies sich als Ladenhüter (Essener Uni-Bibliothek, wird wahrscheinlich z.Z. im unzugänglichen Keller aufbewahrt). Um eine breitere Öffentlichkeit zu erreichen, beschloss der Autor, das Genre zu wechseln. Seit ein paar Jahren veröffentlicht er in seinem Blog >SackingBob74.de< Geschichten über sich und die personalisierten Jahreszeiten. Er lebt mit seiner Familie in Gladbeck.