Da die Dame wahrscheinlich unsterblich war, hatte mir der Schwindel höchstens ein paar Minuten Ruhe gebracht. Der Raum, in dem ich stand, war riesig. Schon die Proportionen des Bettes hatten dies erahnen lassen. An den Wänden und an der Decke waren goldfarbene Verziehrungen.
Allerdings erweckte das Mobiliar den Eindruck, schon lange nicht mehr genutzt worden zu sein. Auf den kleinen Engelchen, die von den Ecken der Zimmer und an den Lehnen der Stühle nach außen ragten, lag eine zentimeterdicke Staubschicht. Die Tische, Schwänke, wie auch der Fußboden waren damit bedeckt.
Ein paar Fußspuren ließen erkennen, wo der Graf gerade noch gestanden hatte. Es würde also leicht sein, ihm aus dem Weg zu gehen.
So leise ich konnte, ging ich zur Tür, die nur angelehnt war und lugte hinaus. Auf dem Flur konnte ich niemand erkennen.
Ich berührte den Türgriff und schob die Tür langsam nach vorne, immer darauf bedacht, kein Quietschen auszulösen. Als der Spalt groß genug war, schlüpfte ich hinaus.
Die Fußspuren führten in die eine Richtung. Ich wählte die Gegenrichtung und fiel in einen langsamen Trott.
Dieser Gang war verdammt lang mit etlichen Türen auf der einen Seite. Fenster säumten die andere Seite, die einen Blick auf einen grauen Himmel über einem rechteckigen Hof öffneten. Auf diesem Hof stand ein weiteres hölzernes Gebäude, welches baufällig wirkte. Wahrscheinlich hatte man dort vor Urzeiten die Pferde gehalten.
Meine Umgebung wirkte immer älter und grauer, je weiter ich von dem Schlafzimmer floh. Eine der Türen hing nur noch in einer Angel und hinter ihr konnte man ein weiteres, jedoch teilweise schon verfallenes Schlafzimmer erkennen.
Der Graf hatte genug Raum für ein Hotel, jedoch anscheinend keine Gäste. Was die Geschichten, die über ihn kursierten, noch realistischer wirken ließ.
Endlich kam ich an eine Ecke.
Die Flur vor mir wirkte nur noch grau und verlassen. Ich ging weiter.
Das Holz unter mir knirschte und krächzte. Ich fragte mich kurz, ob es mich halten würde.
Hier musste doch irgendwo ein Treppenhaus sein. Soweit ich das, mit einem Blick aus dem Fenster erkennen konnte, war ich mindestens im dritten Stockwerk, vielleicht sogar noch höher.
Der Fußboden schien bei jedem Schritt zu protestieren. Wahrscheinlich erschreckte ich gerade drei Generationen Holzwürmer, die in ihm lebten.
In einiger Entfernung entdeckte ich eine Ecke in der eintönigen Türreihe, aus der Licht ins Innere quoll.
Ich wollte mein Glück nicht herausfordern und setzte jeden Schritt bewusst und abschätzend.
Es waren nur noch drei Meter, bis zur Ecke.
Das Holz schrie mich förmlich an, als ich einen weiteren Schritt nach vorne setzte. Dann versank mein Fuß im Fußboden.
Zum Glück konnte ich ihn herausziehen.

Von SackingBob74

1974 in Dorsten geboren, entdeckte man früh das fehlende sportliche Talent des Autors. Über Jahre erlernte er mühsam das Lesen und Schreiben, wobei er mit dem Letzteren immer seine Probleme hatte. Die Lehrer bescheinigten ihm ein hohes Maß an Fantasie und Flexibilität in der Rechtschreibung. Aus den oberen Gründen stand ihm lediglich der Zweig der Naturwissenschaften offen. Sein Werdegang wurde 2008 an Halloween mit einer Promotion in Chemie belohnt. Sein erstes Buch »Niedermolekulare Co-Kristallisation« erwies sich als Ladenhüter (Essener Uni-Bibliothek, wird wahrscheinlich z.Z. im unzugänglichen Keller aufbewahrt). Um eine breitere Öffentlichkeit zu erreichen, beschloss der Autor, das Genre zu wechseln. Seit ein paar Jahren veröffentlicht er in seinem Blog >SackingBob74.de< Geschichten über sich und die personalisierten Jahreszeiten. Er lebt mit seiner Familie in Gladbeck.