Nach dem ersten Schock brauchte ich viel Zeit, um zu realisieren, was die Dame vor mir trug. Sie hatte ein durchsichtiges, hellrosa Nachthemd aus einem Material an, aus dem meine Oma ihre Gardinen bevorzugte. Darunter trug sie – ich weißt nicht genau, wie die Damenwelt sowas nennt – an der Stelle brauchte ich dringend Google – heißt es Negligee, Korsett oder Strapse?
Bei Männern ist das alles einfacher. Da gibt es nur Boxershorts. Was anderes trage ich sowieso nicht.
Auf jeden Fall, war dies ein Moment, in dem ich am liebsten schreiend weggelaufen wäre. Sie wirkte in dem Stoff so wahnsinnig deplatziert, dass es schon fast lächerlich wirkte.
Dazu traf mich ein Blick, der scheinbar wildes Verlangen in mir auslösen sollte, bei meine Abneigung gegen herrsch- und rachsüchtige Blondinen mit einem egomanischen Komplex jedoch nicht gewinnen konnte.
Sie sagte: »Hallo Süßer. Hast Du Lust auf ein Spiel?«
Ich sagte: »Hast Du ein Gesellschaftsspiel dabei? Du musst allerdings wissen, dass ich Mensch-Ärgere-Dich-Nicht und Kartenspielen verabscheue. Wenn Du allerdings Set dabei hast, könnten wir eine Runde spielen.«
Ihr Verführerblick trübte sich ein wenig unter den Falten, die ihre Stirn für einen Agenblick zierten. Dann sagte sie: »Ich meinte andere Spiele. Wie wäre es mit Rollenspielen?«
»Für Rollspiele brauchen wir die richtigen Würfel und die hab ich unter den Kissen hier drin nicht gefunden. Außerdem bin ich nicht vorbereitet. Man sollte zunächst einen Charakter entwickeln.«
»Für meine Rollenspiele braucht man keine Würfel.«
Dabei lächelte sie charmant, was auf mich genauso freundlich wirkte, wie das breite Lächeln einer Großwildkatze kurz vor dem Sprung.
Sie trat näher an das Bett und ich wich zurück. Das hätte ich nicht machen sollen, da ich ihr jetzt Raum bot.
Ich sagte: »Du überschreitest gerade meine Komfort-Zone. Es sollte immer eine Armlänge Platz bleiben.«
Mit einem Lächeln und einer lässigen Handbewegung wischte sie meine Worte aus der Luft. Ich krabbelte tiefer in das Bett und sie zog die Vorhänge beiseite.
Der einzige Fluchtpunkt, den ich noch hatte, war durch die Frau blockiert.

Von SackingBob74

1974 in Dorsten geboren, entdeckte man früh das fehlende sportliche Talent des Autors. Über Jahre erlernte er mühsam das Lesen und Schreiben, wobei er mit dem Letzteren immer seine Probleme hatte. Die Lehrer bescheinigten ihm ein hohes Maß an Fantasie und Flexibilität in der Rechtschreibung. Aus den oberen Gründen stand ihm lediglich der Zweig der Naturwissenschaften offen. Sein Werdegang wurde 2008 an Halloween mit einer Promotion in Chemie belohnt. Sein erstes Buch »Niedermolekulare Co-Kristallisation« erwies sich als Ladenhüter (Essener Uni-Bibliothek, wird wahrscheinlich z.Z. im unzugänglichen Keller aufbewahrt). Um eine breitere Öffentlichkeit zu erreichen, beschloss der Autor, das Genre zu wechseln. Seit ein paar Jahren veröffentlicht er in seinem Blog >SackingBob74.de< Geschichten über sich und die personalisierten Jahreszeiten. Er lebt mit seiner Familie in Gladbeck.

3 Gedanken zu „Vielleicht Vergeblich Verführt?“

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