Sommer schien zu schweben. Er lachte und warf weiter Dinge wahllos in den Einkaufswagen.
Irgendwie konnte ich das nicht ganz nachvollziehen. Allerdings hatte ich so sehr damit zu tun, ihn zu verfolgen, als dass ich dazu kam, ihn anzusprechen.
Erst als wir endlich nebeneinander an der Kasse standen und er mich glücklich anstrahlte, sagte ich: »Warum bist Du denn so gut drauf?«
Sommer sagte: »Es hätte doch gar nicht besser für uns laufen können. Sie hat mich angelächelt und wir haben uns für heute Abend verabredet. Das zeigt doch, dass sie wirklich etwas für mich empfindet.«
Kopfschüttelnd sagte ich: »Sie hatte so ein schlechtes Gewissen, wegen des Unfalls, dass sie Dir Alles versprochen hätte.«
Sommer sagte: »Das war noch viel besser. Sie hat noch nicht einmal nachgefragt, was wir hier treiben. Durch den Schock ist das in den Hintergrund getreten. Es blieb nur ihre Zuneigung zu mir.«
Ich sagte: »Es tut mir leid, Dich enttäuschen zu müssen. Der Typ, der sich hinter ihr aufbaute und seine Hände auf ihrem Arm hatte, scheint weitaus mehr Glück bei Ihr zu haben.«
Sommer runzelte die Stirn und sagte: »Welcher Typ?«
Ich sagte: »Hast Du nicht bemerkt, dass da noch jemand war?«
Sommer sagte: »Patricia war alleine da. Es gab da keinen anderen.«
Ich sagte: »Dieses Stadium kenne ich, aus eigener Erfahrung. Als ich als Jugendlicher meine erste Flamme, an deren Rockzipfel ich schon mindestens seit 5 Monaten hing, zufällig auf einem Festival, in den Armen eines anderen Typens und an dessen Lippen hängen sah, blendete ich den Fremden einfach aus.
Das scheint eine ganz normale menschliche Regung zu sein. Was man nicht sehen will, sieht man nicht.
Dass Du als Unsterblicher so etwas hast, ist beruhigend.«
Sommer schüttelte den Kopf: »Da war keiner.«
Dann sah er mich groß an und sagte: »Wie hast Du denn damals erfahren, dass bei Deinem Schwarm ein Männchen hing?«
Ich sagte: »Das war genau die gleiche Situation. Freunde, die gleichzeitig mit mir am gleichen Fleck waren, versuchten mich stundenlang aufzumuntern.
Erst habe ich nicht gerafft, warum sie das taten.
Es dauerte eine Weile, bis sie mich überzeugt hatten. Vier Menschen können nicht gleichzeitig blind geworden sein. Anscheinend hatte nur einer nicht das gesehen, was er nicht sehen wollte.«
Sommers Stimme war leisen. Er sagte: »Da war wirklich ein Typ?«
Ich nickte und sagte: »Ja.«

Von SackingBob74

1974 in Dorsten geboren, entdeckte man früh das fehlende sportliche Talent des Autors. Über Jahre erlernte er mühsam das Lesen und Schreiben, wobei er mit dem Letzteren immer seine Probleme hatte. Die Lehrer bescheinigten ihm ein hohes Maß an Fantasie und Flexibilität in der Rechtschreibung. Aus den oberen Gründen stand ihm lediglich der Zweig der Naturwissenschaften offen. Sein Werdegang wurde 2008 an Halloween mit einer Promotion in Chemie belohnt. Sein erstes Buch »Niedermolekulare Co-Kristallisation« erwies sich als Ladenhüter (Essener Uni-Bibliothek, wird wahrscheinlich z.Z. im unzugänglichen Keller aufbewahrt). Um eine breitere Öffentlichkeit zu erreichen, beschloss der Autor, das Genre zu wechseln. Seit ein paar Jahren veröffentlicht er in seinem Blog >SackingBob74.de< Geschichten über sich und die personalisierten Jahreszeiten. Er lebt mit seiner Familie in Gladbeck.

2 Gedanken zu „Verdrängung“

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