Winter hatte ein Glas Rotwein in der Hand. In ihren weißen Sachen wirkte dies verdammt mutig. Als ich ihr das sagte, lachte sie trocken auf.
Sie sagte: »Wir Unsterblichen verschütten nichts. Das ist der Vorzug – nach ein paar Jahrhunderten hat man den Dreh raus. Es passiert so gut wie nie, dass man sich stößt oder etwas verschüttet.«
Ich sagte: »Das ist dann wohl ein Erkennungsmerkmal. Wenn ich jemanden treffe, der sich vor mir auf den Bart legt oder der sich seinen Fuß an einem Stuhl stößt oder der einen Fleck auf dem Hemd trägt, dann weiß ich sofort, dass er nicht unsterblich sein kann.«
Winter sagte: »Deine Logik ist mal wieder unschlagbar.«
Ich sagte: »Sag mal hättest Du nicht schon längst Ruhe gehabt?« Winter sagte: »Hättest Du nicht längst 20 kg abnehmen sollen?«
Ich sagte: »Deine boshaften Kommentare werden mir fehlen. Was machst Du jetzt?«
Sie sagte: »Ich habe mir ein paar Bücher zugelegt. Außerdem kann ich hemmungslos Serien gucken.«
Ich sagte: »Eigentlich beneide ich Dich ein wenig. Einen Job, bei dem man die Hälfte des Jahres Urlaub hat, ist sicherlich kein schlechter. Außerdem scheint Dir selbst die eigentliche Arbeit kein wirkliches Problem zu bereiten.«
Winter sagte: »Mich hätte es härter treffen können.«
Dann sah sie mir für ein paar Augenblicke in die Augen, bis ich mich sehr unwohl fühlte. Für einen Moment wollte ich einfach nur aus dem Zimmer flüchten.
Sie sagte: »Wir werden uns sehen. Pass auf Dich auf. Außerdem musst Du bei Frühling aufpassen. Ich hoffe, dass sie Dich heil lässt.«
Ich sagte: »Es wird schon glattgehen.«
Ihre ausgestreckte Hand nehmend, verabschiedete ich mich  höflich. Dann war sie verschwunden. Das Rotweinglas stand verloren auf dem Tisch.
Beim Abräumen hätte ich es fast umgestoßen.

Von SackingBob74

1974 in Dorsten geboren, entdeckte man früh das fehlende sportliche Talent des Autors. Über Jahre erlernte er mühsam das Lesen und Schreiben, wobei er mit dem Letzteren immer seine Probleme hatte. Die Lehrer bescheinigten ihm ein hohes Maß an Fantasie und Flexibilität in der Rechtschreibung. Aus den oberen Gründen stand ihm lediglich der Zweig der Naturwissenschaften offen. Sein Werdegang wurde 2008 an Halloween mit einer Promotion in Chemie belohnt. Sein erstes Buch »Niedermolekulare Co-Kristallisation« erwies sich als Ladenhüter (Essener Uni-Bibliothek, wird wahrscheinlich z.Z. im unzugänglichen Keller aufbewahrt). Um eine breitere Öffentlichkeit zu erreichen, beschloss der Autor, das Genre zu wechseln. Seit ein paar Jahren veröffentlicht er in seinem Blog >SackingBob74.de< Geschichten über sich und die personalisierten Jahreszeiten. Er lebt mit seiner Familie in Gladbeck.

13 Gedanken zu „Abschied“

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